Annie Ernaux „Der Platz“

Buchkritik Annie Ernaux "Der Platz" präsentiert von www.schabel-kultur-blog.de

©Bibliothek Suhrkamp Verlag, 2019

Der Tod des Vaters wird zum Anlass, über seinen „Platz“, im gesellschaftlichen Umfeld und auch ihren eigenen zu resümieren. Sehr nüchtern, ohne Emotionen blickt sie auf Familienfotos und leuchtet die einzelnen Lebensstationen aus, nicht nur im Sonntagskleid und mit den Dingen, auf die man stolz ist. Entbehrungsreich und mühsam arbeitete sich der Vater mit seiner tüchtigen Frau vom Fabrikarbeiter zum selbstständigen Kneipenwirt mit Ladengeschäft hoch und wurde schließlich zum stolzen Hausbesitzer in einem kleinen Ort in der Normandie. Das Umfeld blieb proletarisch, ohne Interesse über die eigenen Belange hinaus. Sein ganzer Stolz war die Schulausbildung der Tochter, wodurch sie es schaffte in die Gesellschaftsschicht aufzusteigen, die immer auf ihn hinuntergeblickt hatten. 

Genau diese Momente macht Annie Ernaux an sprachlichen und verhaltensmäßigen Unterschieden deutlich. Immer wieder spiegelt sie das proletarische Bemühen, nicht tölpelhaft im bürgerlichen Umgang zu erscheinen. Aber gerade diese lächerlichen Angleichungen führen zu Peinlichkeiten, die sie als junges Mädchen in schwierige Situationen brachten und entfremdeten von den Eltern. 

Annie Ernaux schreibt mit klaren Blick ohne irgendwelche sentimentale Stimmungen. Sachlich nüchtern blickt sie auf die zunehmenden Diskrepanzen. Nur ganz sporadisch ist ein Hauch von Traurigkeit zu spüren, dass der Ort, wo sie durchaus auch Glück empfand, immer der Ort war, an dem man besser nicht gewesen wäre.

Annie Ernaux: „Der Platz“, Bibliothek Suhrkamp Verlag, Berlin 2019, 95 Seiten.