Landshut – Sarah Nemitz’ und Lutz Hübners  „Furor“ in den Landshuter Kammerspielen

Theaterkritik "Furor" präsentiert von www.schabel-kultur-blog.de.

©Landshuter Kammerspiele, Stefan Klein

Der Plot ist simpel, die Konsequenzen sind enorm und spiegeln das soziale Auseinderdriften unserer Gesellschaft. Ministerialrat Braubach befindet sich mitten im Wahlkampf um das Amt des Oberbürgermeisters. Vor zweieinhalb Wochen überfuhr er einen 17-jährigen, kleinkriminellen Junkie, als dieser als Schwarzfahrer überraschend vom Bus auf die Straße sprang. Braubach hat keine Schuld. Trotzdem besucht er die Mutter des Jungen um seine Hilfsbereitschaft zu signalisieren. Es gelingt ihm die verzweifelte Mutter, eine Altenpflegerin in kleinbürgerlichen Verhältnissen, durch Resozialisierungsmaßnahmen für ihren Sohn trotz anfänglichen Misstrauens und jeder Menge Vorwürfe zu besänftigen. Doch dann taucht deren Nichte Jenny auf, eine Paketausfahrerin mit einem 11-Stunden-Tag, die aufgeputscht von den Hasstiraden in den sozialen Netzwerken endlich ihre große Chance sieht, sich an den Mächtigen und deren „beschissener Politik“ zu rächen. Jetzt geht es ans Eingemachte. Gesellschaftliche Klischees knallen aufeinander, in der Jenny den Oberbürgermeisterkandidaten immer mehr in die Knie zwingt und sich beide durch die gängigen plakativen Beschuldigungen konterkarieren „Wir kochen das hoch“, droht Jenny. Sie fühlt sich als die Stimme des Volkes in einem „Scheiß-Land, in dem niemand mehr schuld ist“, sich die Mächtigen durch ihre Beziehungen von Schuld freikaufen können, denn in der Zeitung wird Braubach als großer Helfer geschildert, kein Wort davon, dass er zu schnell und alkoholisiert gefahren ist. Faktum oder Fake? Das bleibt offen. Dabei geht es Jennynicht so sehr um das Geld als um die Revolution. Sie schreckt vor nichts zurück. Die Dominanzen wandeln sich. Wer hat Recht? Was stimmt? Diese Fragen nehmen die Zuschauer mit nach Hause.

Düster sind die Perspektiven in „Furor“, entsprechend wählt Irina Kollek für Bühne und Kostüme vorwiegend die Farbe Grau. Umso knalliger wirkt die bieder orange-braun gestreifte Eckcouch erhöht durch ein Podest als Ort der Verhandlung, wo niemand lange sitzen bleibt, weil die Nerven immer stärker blank liegen und selbst der Rückzug in einen poppigen Coquille-Sessel zum Ausdruck extremer Bedrängnis wird. 

Matthias Eberth gibt den Schauspielern Raum ihr Potential zu entfalten. Gleich zu Beginn lässt Katja Amberger sehr überzeugend in die verzweifelte Seele dieser Mutter schauen. Sie ist Nervenbündel, kann kaum zuhören, nur angreifen, wodurch sie zum zentralen Symbol der manipulierten Masse avanciert und Braubach vorerst sehr sympathisch und diplomatisch erscheint. Ins Unglück gestürzt voller Sorge und Angst, durch Jennys Manipulationen in Hass und Anklage verwandelt, durch Braubachs Hilfsmaßnahmen entschärft enthüllt Katja Amberger diese neu erwachte Hoffnung als grenzenlose Naivität stellvertretend für die ältere, politisch ergebene Generation. 

Braubach ist eine Paraderolle für Andreas Sigrist. Durch kleine Gesten, wie einen verstohlenen Blick auf die Uhr verrät er seine latenten Ambitionen. Er spielt diesen Politiker mit aalglatter Contenance, wechselt ständig die Taktik zwischen Dominanz und Nachgeben, gefasst und doch ganz nahe der persönlichen Explosionsgrenze. Dieser Ministerialrat hat sich aus kleinen Verhältnissen hochgearbeitet, kokettiert damit, verschanzt sich hinter seinem Verantwortungsbewusstsein und hat doch nur seine Karriere im Sinn. Doch Jenny, Laura Puschek zeichnet sie vif und rabiat, mit allen Wassern gewaschen, hat immer wieder einen Überraschungscoup auf Lager.

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©Landshuter Kammerspiele, Stefan Klein

Sie redet sich siegesgewiss in Rage, bringt Braubach an die Grenzen seiner bisherigen Erfahrungen. Seine Methode der verschlossenen Türen funktioniert bei Jenny nicht. Mit einem Zweitgerät nimmt sie das hitzige Gespräch auf, obwohl Braubach ihr das Handy abgenommen hat. Sie formuliert, was den Weg in die Zeitungen mangels Vitamin B nicht schafft. Dieses Wissen spielt Laura Puschek mit energetisch sadistischen Furor aus, wodurch Braubach einknickt und sich immer mehr in eine erpresserische Situation hineinmanövriert, der Achterbahn der Gefühle sich in Andreas Sigrists Augen und angespannter Haltung spiegelt. Jennys Messer auf der Brust wird Braubachs Angst spürbar. Und wieder stellt sich die Frage:  Wer hat Recht. Beide Seiten berufen sich auf ihre moralische Verantwortung gegenüber der Gesellschaft. Das Einvernehmen mit der Mutter ist nur ein Schein-Happy-End. Der „Furor“ ist noch lange nicht zu Ende. Er schwelt überall im Alltag.