Landshut – „Nathan der Weise“

Theaterkritik "Nathan der Weise" präsentiert schabel-kultur-blog.de

Es ist das Verdienst des Landshuter Ensembles unter der Regie von Claus Tröger, dass Lessings „Nathan der Weise“  trotz der  reichlich konstruierten, handlungsarmen Geschichte nach und nach eine ungeheure spannende Dynamik entwickelt. Claus Tröger vertraut dem Text, lässt die Schauspieler im reduziert expressiven Spiel die Ideen des aufgeklärten Humanismus entfalten und gleichzeitig hinterfragen.

Im Genuss ganz nah am Bühnengeschehen zu sitzen, wird das blutleere Ideenstück ein Kammerspiel mit unterschiedlichsten Rolleninterpretationen.  Reduziert auf einen schrägen zerschlissenen Kreis als Erdenrund vor der Betonmauer als Symbol bornierten Isolationsdenken wird die Bühne mit zum expressiven Rahmen von Überall und Jederzeit, von Oben und Unten in der Hierarchieskala. Nur die Musik zwischen den fünf Akten lässt atmosphärisch den Orient aufleuchten. In der Alltagskleidung unserer Tage verwischt sich die religions-kulturelle Typologie  der Figuren (Ausstattung: Andreas Lungenschmid). Hier agieren Menschen, von Nathan abgesehen, egal welcher Religion, getrieben von Gier nach Reichtum und Sexualität.

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©Peter Litvai

Claus Tröger macht aus Saladin und Sittah, seiner Schwester, ein moslemisches schwarz gestyltes  Partypaar, das mit Katharina Elisabeth Kram und Julian Ricker  zwischen inzestuöser Laszivität, luxusverwöhnten Müßiggang, cooler Raffinesse und arabisch mafioser Machtprahlerei chargiert. Sie begreifen das Leben als Schachspiel mit nur einem Ziel, schachmatt zu setzen. Ihr transparenter Schleier verführt mehr als er verdeckt. Der Mantel in Schlangenoptik symbolisiert ihr raffiniertes Taktieren. Er will die Welt verbessern und ist doch nur ein Geld besessener Emporkömmling, der herum ballert. Der Derwisch mit Reinhard Peer als neurotischen Handyjunkie  ist eine weitere lächerliche Lebensvariante unserer Tage.

Das Christentum outet sich nicht minder übel. Der Patriarch frönt der Engelsmalerei mit Knabenmodell (Noah Nußbaum), wobei Olaf Schürmann, ein Wolf unterm Strohhut, betulich fromme Rede christlicher  Scheinheiligkeit  durch inquisitorische Bestrafungsdiktatur und pädophile Ambitionen karikiert. Klemens Neuwirth zeigt im Minipart des Klosterbruders die Kehrseite, die geknechtete, geängstigte, doch auch unbestechliche Seele im hierarchischen System. Stefan Sieh wechselt als Tempelherr wie ein Chamäleon seine Sicht der Dinge, in seiner Cholerik Saladin nicht unähnlich. Wenn er seine großen Liebesgefühle mimisch parodiert, gibt er Raum zum Schmunzeln über die Abgründe des Christseins genauso wie  Ursula Erb, die Dajas christliche Gläubigkeit mit weiblichem Charme und mitreißender Expression humorvoll gelassen in Szene setzt und so  Daja auf Augenhöhe Nathans stellt.

Der bleibt mit Joachim Vollrath bewusst ungelenk, ein aufrechter Jude, der sich durchaus zu beugen weiß, wenn die Situation es verlangt, dessen Ängste und Traurigkeiten, die das Leben ihm beschwert haben, sich über sein authentisch nachdenkliches Spiel vermitteln. Joachim Vollrath lässt Lessings wichtige Sätze schweben, erzählt die Ringparabel wie ein Märchen. Sogar die  Mauer strahlt plötzlich gülden, was allerdings nicht lange anhält angesichts der komplizierten Verstrickungen und Aggressionen, die die Wahrheit mit sich bringt. Nathans  Ziehtochter Recha, von Mona Fischer als pubertierender gefühlshysterischer Teenager in arabischer Optik mit Schalk und Verve, in Szene gesetzt, ist jüdisch erzogen, aber in Wirklichkeit ein getauftes Findelkind mit moslemischen Vater, sozusagen die religiös-kulturelle Synthese.

Als sich alles fügt, Recha und Tempelherr sich nicht nur als Geschwister, sondern auch als Neffe und Nichte Saladins finden, endet Claus Trögers Version  als wildes Discogehüpfe, bei dem die Paare zu Schattenwesen degradieren. Nachdenklich verharrt Nathan auf einer Kiste, wissend, dass es kein echtes Happyend ist. Ein sehr kluger Schluss, eine bemerkenswerte Inszenierung spannend gespielt.

Michaela Schabel