Landshut – Kraftvolle Inszenierung von Kafkas „Der Prozess“ im Landestheater Niederbayern

Theaterkritik Kafkas "Der Prozess" im Landestheater Niederbayern präsentiert von www.schabel-kultur-blog.de

©Landestheater Niederbayern, Foto: Peter Litvai

Im „Prozess“ verhandelt Kafka noch im selben Jahr die Enttäuschung, dass Felice Bauer 1914 ihre Verlobung mit ihm bei einem Gespräch im Berliner Hotel Askanischer Hof aufkündigt hatte. Das Romanfragment wurde allerdings erst von Kafkas Nachlassverwalter Max Brod 1924 veröffentlicht. Kafkas „Prozess“ in zehn Kapiteln verwandelte Peter Weiss in ein nicht minder lakonisch symbolisches Theaterstück.

 Der Plot ist wie immer bei Kafka einfach, aber tiefgründig. Herr Josef K. wird verhaftet, ohne den Grund zu kennen, kämpft erfolglos um seine Unschuld und nimmt das Todesurteil schließlich an. 

Claus Tröger inszeniert den „Prozess“ werkgetreu, extrem reduziert, expressiv und gerade deshalb ausgesprochen spannend. Mit einer kargen Bühne auf der Bühne, Lichteffekten und Projektionen gelingt ihm eine raffinierte Visualisierung auf zwei Ebenen. Zwischen Tisch und Stuhl auf einer kleinen erhöhten Plattform findet das Handlungsgeschehen von Josef K.s Verhaftung bis zu seiner Hinrichtung statt, an beiden Bühnenseiten, tiefer gesetzt umgeben von den Schauspielerinnen, auf ihren Spieleinsatz wartend, mit schwarzen Modepuppen dazwischen als Symbole der  Entindividualisierung und menschlichen Kontaktlosigkeit. Navigationsprojektionen, ein sich bewegender roter Punkt im urbanen Labyrinth intensivieren auf der Metaebene Kafkas Seelendrama menschlicher Vereinsamung und verorten diesen „Prozess“ in der Digitaliserung unserer Zeit. Der ständige Wechsel zwischen Spielsequenz und eingefrorenen Szenen, lichttechnisch als atmosphärisch abgehobenes Schattenreich präsentiert, gibt der Inszenierung gerade durch die Polarität von expressiv ausgestelltem Spiel und Totenstille einen pulsierenden Duktus zwischen Aktion und Reflexion, in der jedes Wort, jede Bewegung eine magische Kraft entwickelt.  

Die Menschen buckeln, lachen hämisch schrill, fallen wie Stehaufmännchen um und rappeln sich wieder auf, allesamt hilflose Geschöpfe. Paul Behrens mittendrin von großer Statur präsentiert Josef K. mit Rückgrat. Aufrecht steht er zwischen den flankierenden Wärtern wie ein Fels in der Brandung und versteht nicht, warum das alles passiert. Keiner kann seine Fragen beantworten. Die Bürokratie rollt über ihn hinweg und schließlich sitzt er gebeugt am Tisch eins zu eins zu Kafkas berühmter Zeichnung, die der S. Fischer Verlag als Cover für die „Prozess“-Ausgabe 1992 S. wählte. 

Die 25 Personen, die dabei eine mehr oder weniger große Rolle spielen, werden von sechs Schauspielerinnen dargestellt. In schwarzen Anzügen und weißen Hemden sind die einzelnen Figuren aus größerer Entfernung bis auf die fünf Frauenrollen kaum unterscheidbar. Umso wichtiger werden die  personenspezifischen Stimmmodulationen. Paula-Maria Kirschner differenziert gekonnt durch rhythmisierte Artikulation und österreichische  Vokalfärbung. Ursula Erb bedient souverän das breite Spektrum von Zimmervermieterin über Direktor und Fabrikant bis zum Gefängniskaplan, eine großartige Szene, in der ihr gigantischer Schatten ironisch das höchste Gericht in Frage stellt und Kafkas „Legende vom Türsteher“ die Interpretation des „Prozesses“ liefert. Und zwischendurch lässt Katharina Elisabeth Kram im grotesk höflich steifen Spiel als Fräulein Bürstner und Leni Herrn K.s Sehnsucht nach Liebe und Erotik aufleuchten. 

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