Landshut – „In einem Jahr mit 13 Monden“ – Schauspiel nach dem Film von Rainer Werner Fassbinder als beeindruckender Live-Stream des Landestheaters Niederbayern

"In einem Jahr mit 13 Monden" präsentiert von www.schabel-kultur-blog.de

©Landestheater Niederbayern, Peter Litvai

 Im Zentrum steht nicht die Transgender-Diskussion, sondern einfach nur der Mensch in seiner Sehnsucht nach Liebe, in packenden Dialogen, nach Originalaufzeichnungen von Rainer Werner Fassbinder und einem Filmprotokoll von Juliane Lorenz nacherstellt und musikalisch sehr subtil von Julius von Maldeghem untermalt.

Ausstatter Erich Uiberlacker begnügt sich mit einem Bett mit rotem Satinlaken in einem schwarzen Spiegelkabinett, das mit grausamem Realismus Elvira in der hautfarbenen Altdamen-Unterwäsche aus unterschiedlichsten Perspektiven entreizt und sie mit ihrem physischen und psychischen Elend konfrontiert. 

Unter der Regie von Claus Tröger entwickelt sich ein imposantes, überaus spannendes Charakter-Kaleidoskop, das Elvira, bösartig, aber auch helfend umkreist und sich in ihren Gedanken zu diabolischen Zerrbildern deformiert, die filmisch vor rotem Hintergrund und mit greller Schminke infernalisch als Alptraumsequenzen nahe am Wahn auflodern. Aus Erinnerungssplittern entwickelt sich langsam Elviras Lebensgeschichte, vom lieben begabten Kind zur verzweifelten vereinsamten Seele ganz nach Fassbinders großem Thema „Angst essen Seele auf“.  

Großartig, sehr empathisch spielt Joachim Vollrath diese Elvira. So sehr sie nach Liebe sucht, für sie soll es keine „roten Rosen regnen“. Gepeinigt, getreten und geschlagen liegt Elvira auf dem Boden. Nicht einmal bezahlte Liebe bekommt sie. Christoph (Olaf Schürmann), für den sie einst anschaffen ging, kommt nach Wochen zurück, um sie unter brutalen Beschimpfungen als „ekelhaftes Stück Fleisch“ ganz zu verlassen. Heroisch steht Elvira eingehüllt in das gigantische rote Laken da. Doch ihr Blick ganz nah kündet von unsagbarer Traurigkeit.

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©Landestheater Niederbayern, Peter Litvai

 Sie möchte wieder arbeiten, wie einst Erwin als Schlachter die eigene Kraft wieder spüren, immer noch den Todesschrei der Tiere, die Bilder vom Schlachthaus im Kopf. Doch stattdessen wird sie immer depressiver. Selbst Seelen-Frieda, von Paula-Maria Kirschner als enthusiastische Astrologin mit jahrelanger Klapsmühlenerfahrung humorvoll in Szene gesetzt, findet nur Erschrecken in Elviras Karten. Erst als Zora, mit Ella Schulz eine flotte, sehr sympathische Prostituierte, Elvira zu einer Nonne bringt, wird ihr bewusst, warum in ihrem Leben alles so schief gelaufen ist.

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©Landestheater Niederbayern, Peter Litvai

Mit klarer Stimme erzählt Antonia Reidel die Ungeheuerlichkeiten der Kindheit im Waisenhaus, einem System perfekter Lügen, während Elvira via Split-Screen fassungslos zuhört. Wie sollte sie die Liebe finden, wenn sie nie Liebe erlebt hat? Für Anton, mit Jochen Decker als fetzig spleeniger, aber jovialer Kapitalist, ist Elvira nur noch eine skurrile Erinnerung und für die Rückkehr als Mann zu seiner Frau Irene, Antonia Reidel zeichnet sie sehr schrill und selbstbewusst, ist es zu spät. Für Erwin gibt es nur noch einen Weg, den in den Exitus. 

Ein Mondjahr war auch 2020. Wer die entnervende Diskussion um den Theaterneubau in Landshut kennt, dem drängt sich bei diesem Stück, nicht zuletzt durch die leitmotivische Einblendung des schmalen Gangs im Container-Bau eine Parallele zur Stimmung im Theaterzelt auf. Das Ensemble kann sich noch so anstrengen, die Situation wird nicht besser. Das kommunale System lässt es nicht zu.

Zu sehen ist „ In einem Jahr mit 13 Monden“ auf der Plattform Vimeo kostenfrei bis 4. Mai. In der Mediathek findet man auf der Webseite auch das Programmheft. Über Spenden für das Theater freut sich das Ensemble. 

 Hinter der Bühne: ClausTröger (Regie), Stefan Tilch (Bildregie), Florian Rödl (Schnitt), Erich Uiberlacker (Ausstattung), Peter Oberdorf (Dramaturgie), Julius von Maldeghem (Musik), Bruno Hartl, Markus Binder, Maximilian Mager (Kamera)

Auf der Bühne: Joachim Vollrath (Erwin/Elvira) ,Olaf Schürmann (ELviras Freund, ein Fremder, Schriftsteller), Ella Schulz (Zora), Antonia Reidel (Erwins Frau, Nonne Gudrun), Paula-Maria Kirschner (Seelen-Frieda, Sybille), Jochen Decker (ein Mann, Anton), Alexander Nadler (Smolik, Frank), Friederike Baldin (Putzfrau, Tochter Erwins)