Landshut – Ferdinand Schirachs Stück „Gott“ in den Kammerspielen Landshut

Theaterkritik Ferdinand von Schirachs "Gott" in den Kammerspielen Landshut präsentiert von www.schabel-kultur-blog.de

©Landshuter Kammerspiele

Wie bei einer realen öffentlichen Versammlung formieren sich die Gäste, während die Zuschauer noch plaudern. Dann beginnt die Sitzung. Stille. Nur ein als Röntgenbild projiziertes Herz pulsiert. Der Ethikrat beginnt zu tagen.

Um 25 Prozent gekürzt zählt jeder Satz in diesem argumentativen Schlagabtausch. Die statische Konzeption belebt Sven Grunert gekonnt durch Live-Projektionen. Dadurch rücken die Sprechenden, aber vor allem auch die angesprochenen Gesprächspartner in den Mittelpunkt. Die Augen im Rechteck der Schärfenfokussierung spiegeln die persönlichen Emotionen, enthüllen Ressentiments und konterkarieren damit zuweilen die klug gewählten Worte.

Vier Frauen und vier Männer sitzen im Ethikrat. Die Vorsitzende begrüßt, von Louisa Stroux etwas unsicher, mit dunkler Dialektfärbung dargestellt, als mache sie die bevorstehende Sitzung nervös. Sie interveniert sehr harsch, wenn der Anwalt, allzu sicher und ironisch auftritt. Doch ihre Strenge verkörpert sehr gut die institutionelle Kälte und Voreingenommenheit des Ethikrats. Ihre Stimme wirkt kalt, schneidend, ihr Bedauern für die Witwe formell, ohne Verständnis.

Ganz anders die 68-jährige Antragstellerin. Petra Einhoff gelingt der Spagat den Wunsch dieser Witwe trotz zweier Kinder und dreier Enkelkinder das Leben beenden zu wollen authentisch darzustellen. Physisch und psychisch voll gesund, sind ihre Augen, von der Hälfte ihres Ichs beraubt, doch leer und traurig. Zu sehr hat sie eineinhalb Jahre den Todeskampf ihres Mannes miterleben müssen. Sie will nicht in dieselbe Situation geraten, will sich weder erhängen noch aus dem Fenster stürzen noch in die Schweiz fahren. „Mach es richtig!“ Die letzten Worte ihres Mannes will sie realisieren und „ordentlich sterben“, weshalb sie in der Öffentlichkeit für Suizid kämpft, unterstützt von den Argumenten einer Rechtssachverständigen, die Katja Amberger im roten Blusenmantel sehr engagiert und rhetorisch gewandt in Szene setzt. Doch die reale Unterstützung für assistierten Suizid hört schon beim Augenarzt auf. Von Rudi Knauss überzeugend mit eigenen Gewissenskonflikten gezeichnet weigert er sich ihr die tödlichen 15 Gramm Natrium-Pentobarbital zu verschreiben. Dieses konservative Beharren auf dem geleisteten Eid der Ärzte, Leben zu bewahren baut der Vorsitzende der Bundesärztekammer durch medizinische Exkurse, flächendeckende palliative Versorgung und Warnung vor negativen gesellschaftlichen Veränderungen aus, ohne letztendlich schlagkräftige Argumente für ein Verbot von Suizid zu finden. Dabei lässt Sven Hussock mit verdrücktem Blick und leicht gebuckelter Haltung die moralische Fragwürdigkeit dieses Mediziners immer stärker aufleuchten, der weniger an den Patienten als der Machtposition des eigenen Egos interessiert zu sein scheint. „Das Ethos der Ärzte steht über dem Ethos der Gesellschaft“. Entsprechend „abstoßend“ und „arrogant“ wirkt er, wie es die Witwe treffend beschreibt.

Mit zunehmender Argumentationslust hebelt Julius Bornmann die konträren Behauptungen aus. Wird Freiheit tatsächlich zum Zwang? Alle Problematiken und befürchteten ethischen Dammbrüche kommen auf den Tisch. Von der Gefahr der Beseitigung unwerten Lebens bis zur Aufforderung der Kinder und Enkel, der Großvater solle doch endlich sein Leben zugunsten der Erben beenden und der religiösen Forderung, nur Gott, der das Leben gegeben habe, dürfe es beenden.

Während ein Mitglied des Ethikrats (Anna Schumacher) in adrett weißer Bluse eifrig und wissbegierig ohne jegliches kritisches Bewusstsein die Fragen den Suizidgegnern mundgerecht serviert, paraphrasiert Julius Bornmann als Anwalt die Antworten und überspitzt sie mit absurden Schlussfolgerungen. Trotz der Verwarnungen der Vorsitzenden bohrt er ironisch weiter, stellt mit hochgezogenen Augenbrauen Argumente in Frage, verändert selbstbewusst das Terrain erobernd seinen Standort, geht mitunter die Treppen hinauf mitten ins Publikum, um sich als Vertreter der Öffentlichkeit zu platzieren. Mit einem ironischen „Ich verstehe das nicht“ bringt er den Bischof in die Bredouille. Doch mit Andreas Sigrist entwickelt der Kirchenhirte, Mitglied der deutschen Bischofskonferenz, trotz aller dargelegten klerikalen Widersprüche eine charismatische Aura. „Das Leben ist Leiden“, bekennt er. Im Ertragen des Leidens liegt der Sinn der Lebens.Mit dieser Aussage beeindruckt er selbst den Anwalt. Doch als Quintessenz bleibt. Allein der Glaube ist Bollwerk für den Suizid.

Wie schon in „Terror“ lässt Ferdinand von Schirach am Ende der Diskussion abstimmen. Rote Karte gegen Suizid, die grüne dafür. Das Abstimmungsergebnis wird im Gegensatz zu „Terror“ nicht auf der Bühne bekannt gegeben. Doch in dem durchsichtigen Wahlbehälter am Theatereingang schimmern nach der ausverkauften Vorstellung durch das Grün nur ganz wenige rote Karten. Diese Inszenierung sollte man nicht verpassen.