Landshut „Faust 01 – Fragmente 23“ frei nach Goethe mitreißend inszeniert in den Landshuter Kammerspielen

Er studierte nach der Malerei in Nürnberg, Fotografie in Karlsruhe.

©Kammerspiele Landshut, Foto: Gianmarco-Bresadol

Schon im Foyer mitten unter den Theaterbesuchern beginnt das Spiel in der Hölle, die Bühne eine Etage darüber wird über den „Prolog“ kurz zum Himmel, in dem Gott und Mephisto zwischen Schreib- und Schminktisch über Faust verhandeln, der via Live-Kamera im Hintergrund bühnengroß in seiner verzweifelten Wissbegier erscheint, während durch lichtdurchstrahlte Glasplatten am Boden die Hölle ständig präsent ist. Der Homo sapiens steht im Zerrfeld zwischen Gut und Böse, intellektueller Verzweiflung und sinnlichem Neuland. Seine Wertmaßstäbe verrutschen. Sinnenlust über alles!

Bestens besetzt entsteht ein packendes Kammerspiel, das entlang von Goethes Szenenfolge statt des analytischen Intellekts die Poesie der Sinnlichkeit in den Mittelpunkt stellt, deren gesellschaftliche Ächtung das Böse bewirkt. Mephisto, der gefallene Engel, sucht ein neues Opfer. Gott, Stephan Lehnen offeriert ihn als gelassenen Weltenmann, überlässt ihm Faust, um einmal mehr das eigene Gutsein zu bestätigen, denn Mephisto ist „Teil von jener Kraft, die stets das Böse will und stets das Gute schafft…“

Andreas Sigrist lässt in diesem durch und durch kognitiv frustrierten Faust plötzlich jugendliche Sinnenlust aufleuchten, verwandelt sich in der Verjüngungsszene vom alten Mann im ramponierten Bademantel nackt im Waschzuber zum attraktiven Adonis und zärtlichen Liebhaber live projiziert, kein bisschen anstößig, Leben pur. Als Hexe glänzt Katja Amberger mit subtil parodistischer Magie ohne die Grundstimmung zärtlicher Annäherungen bislang verdrängter Sehnsüchte dem Gelächter preiszugeben.

©Kammerspiele Landshut, Foto: Gianmarco-Bresadol

©Kammerspiele Landshut, Foto: Gianmarco-Bresadol

Schauspielerischer Mittelpunkt ist bei „Fragmente 23“ Mephisto, den Johannes Meier unter der Regie von Sven Grunert überaus effektvoll interpretiert. Dienerisch verkrüppelt schleimt er sich bei Gott ein, um sich dann als Pudel Faust zu nähern. Er fällt um wie ein Stock, schlägt Räder, umgarnt und entflammt Faust als homophiler Kavalier im Faltenrock und Netz-T-Shirt. Eine Plastikfolie bläht sich symbolisch auf zum Riesenpenis. Als sich Faust in Gretchen verliebt, mit Nicola Trub eine reife Frau, die weiß, was sie tut, wälzt sich Mephisto in zurückgewiesener Liebespein am Boden. Insofern wirkt die von Mephisto eingefädelte Ermordung von Gretchens Bruder Valentin durch Faust wie ein Racheakt, zumal Gott-Darsteller Stefan Lehnen die Rolle Valentins übernimmt, womit sich der Brudermord zum Gottesmord weitet. Doch nicht Faust wird bestraft, noch hat er nicht den erlösenden Satz des Teufelpakts gesprochen „Verweile Augenblick, du bist so schön“. Mit blutverschmiertem Mund zieht Mephisto Gretchen hinab in die Hölle. Statt der erlösenden göttlichen Stimme, sie „… ist gerettet“ ist zur Requiem-Musik das Leitzitat „Viel Irrtum, wenig Wahrheit“ noch einmal als finale Botschaft zu hören. 

Das ist für Faust-Liebhaber sicher harte Kost, aber in Anbetracht unserer Zeit eine sehr schlüssige Interpretation, die im Vergleich zum Goethe-Original einen interessanten Diskurs provoziert. 

Die Inszenierung zeigt einmal das ausgesprochen hohe Potential dieses kleinen Hauses, das inzwischen digitale Technik perfekt mit dem Bühnengeschehen koordiniert, ohne es zu übertrumpfen, einmal mehr ein subtiles Gespür für eine differenzierte musikalische Untermalung beweist, mit einfachsten Mitteln ein originelles Bühnenbild und stilsichere Kostüme kreiert und die Vielfalt der Theaterstile, poetisches Spiel, abrupte Rollendistanzierungen und immersive Unterbrechungen synergetisch integriert. 

Künstlerisches Team: Sven Grunert (Regie), Lea Sprenger (Dramaturgie, Regieassistenz), Helmut Stürmer (Bühnenbild), Irina Kollek (Kostüme), Michele Lupi (Technik, Licht), Leander Griwodz, Erika Höcht, David Schreck (Ton, Kamera, Video)

Mit: Katja Amberger, Rudi Knauss, Stefan Lehnen Johannes Meier, Andreas Sigrist, Nicola Trub