©Landestheater Niederbayern, Foto: Peter Litvai
„Wie hast du das geschafft?“ Das ist die große Frage, die sich Willy Loman tagtäglich stellt, wenn er als Handlungsreisender auf Provision Tausende von Kilometern durch die USA fährt und kaum etwas verdient. Zutiefst deprimiert träumt er immer vergeblich von der großen Karriere, die auch seinen beiden Söhnen verwehrt wird.
Arthur Millers moderner Klassiker „Tod eines Handlungsreisenden“ (1949), in dem der Mensch in hybrider Selbstüberschätzung zum Sklaven seiner Aufstiegsträume wird, gewinnt in unserer problemgeladenen Gegenwart neue Aktualität. Willy Lomans Leben wird zur Metapher einer Türklinken putzenden „Trottelexistenz“, umrahmt von den klugen Sprüchen des sozialen Umfelds derjenigen, die es geschafft haben, die aber auch nicht weiterhelfen können. Unter der werkgetreuen Regie von Heinz Oliver Karbus entwickelt das Stück eine mitreißende Polarität zwischen Realität und Traum, in der das Wollen und Können immer mehr auseinander driften und die den Zuschauer durch das authentische Spiel und das raffinierte Bühnenszenario in seinen Bann zieht.
Wie in einem Film blickt man aus der Distanz voyeuristisch auf ein tristes Haus. In einem Zimmer geht das Licht an. Eine Frau steigt aus dem Bett, dann nahtlos auf die Bühne. Ihr Mann, Willy Loman, kommt mitten in der Nacht nach Hause. Erfolglos war seine Reise. Seine Frau macht ihm Mut. Wie Spotlights leuchten die Erinnerungen auf, glückliche Momente der Familie, in denen das latente Unglück fatalistisch auf ein Desaster zusteuert. Auch wenn der Soundtrack, von Peter WesenAuer im Stil einschmeichelnder Hollywoodfilme immer wieder zarte Töne anschlägt und die Bühne zwischen grauer Tristesse und Abendrot-Glanzkulisse chargierend Hoffnung assoziieren lässt, eröffnen sich im Kontrast familiärer Kargheit und prostituierter kleinbürgerlicher Erotik die Abgründe der Verlogenheit, die durch psychopathischen Optimismus und verzerrte Erinnerungsstrukturen kompensiert werden. Nicht linear, sondern als Puzzle in aufleuchtenden Rückblenden inszeniert entfaltet das Stück eine ungewöhnliche dramatische Spannung und einen verbalen Schlagabtausch, in der Arthur Millers messerscharfe Kritik am amerikanischen Kapitalismus nichts von seiner Aktualität verloren hat.
Großartig spielt Jochen Decker diesen Loser Willy Loman, der völlig aufgebraucht von seiner Arbeit zwischen Verzweiflung, Hoffnung und noch mehr Frustration seine Gefühle immer weniger unter Kontrolle hat und bei jeder Kleinigkeit ausrastet, stimmlich bis zur Unverständlichkeit hyperventiliert, um im nächsten Moment die lebenslang einstudierte joviale Sympathieschiene eines Handlungsreisenden zu bedienen. Diese bipolare Emotionalität spiegelt Arthur Miller in der nächsten Generation durch die beiden Söhne. Als Happy verkörpert Benedikt Schulz die Inkarnation optimistischer Traumerfüllung als kleinbürgerlicher Schürzenjäger, der sich die Welt genusssüchtig ohne moralische Verantwortung zurechtlegt. Julian Ricker kann als Biff wesentlich mehr Facetten zwischen euphorischen Höhenflügen und rasanten Abstürzen dieser hochemotionalen Figur zeigen. Durch Biffs manischen Drang schöne Dinge, die ihm nicht gehören, zu klauen, verbaut er sich alle Wege. Noch mehr peinigt ihn die Erinnerung, zufällig die Liebschaft seines Vaters entdeckt zu haben, weshalb er sich ganz vom Elternhaus löste. Als er nach einem Jahr zurückkehrt, wird die Familienkonstellation noch komplizierter. Nein, es gibt keine Familie wie früher mehr. Berufliche Hoffnungen zerplatzen. Der Vater-Sohn-Konflikt eskaliert. Die völlig naive, nichts ahnende Mutter, Antonia Reidel spielt sie mit enthusiastischer Liebe und Fürsorge für ihren Mann, steht auf verlorenem Posten. Sie begreift das alles nicht. Willy driftet völlig ab, von Jochen Decker so eindrücklich gespielt, dass er nur noch als Opfer am Rande des Wahnsinns wahrgenommen wird und es nur noch einen Ausweg gibt, bühnentechnisch als überraschender Crash gelöst. Eine bemerkenswerte Inszenierung in jeder Beziehung.
Künstlerisches Team: Heinz Oliver Karbus (Regie), Klaus Gasperi (Bühne), Ursula Beutler (Kostüme), Peter WesenAuer (Musik), Peter Oberdorf (Dramaturgie)
Mit: Jochen Decker, Antonia Reidel, Julian Ricker, Benedikt Schulz, Stefan Merten, Katharina Schirl, Reinhard Peer, Olaf Schürmann, Paul Behrens, Tabea Günther, Julia Staufer