Landestheater Niederbayern – „Wer hat Angst vor Virginia Woolf?“

theaterkritik "Wer hat Angst vor Virginia Woolf?" präsentiert schabel-kultur-blog.de
Albees „Wer hat Angst vor Virginia Woolf“, Szenen einer Ehe mal zwei, sind an verbaler Aggression und körperlichen Nahkampf kaum zu überbieten. Der eingespielte Tango zu Beginn ist nur Nachhall einer längst vergangenen Zweisamkeit.
1960 in Deutschland uraufgeführt, 1962 in New York, 1966 mit Liz Taylor und Richard Burton verfilmt wurde Edward Albees (1928-2016) „Wer hat Angst vor Virginia Woolf?“ weltberühmt und zum Bühnenklassiker.
Unter der Regie von Heinz Oliver Karbus gelingt eine hervorragende, sehr kurzweilige Interpretation dieses doppelten Ehekriegs. Antonia Reidel dominiert als Marta die Spielhandlung, bringt die Dramatik ins Rollen. Olaf Schürmann als Ehemann George hält dagegen. Ella Schulz und David Lindermeier verwandeln Honey und Nick in groteske Zerrbilder ihrer Gastgeber. Das ist schrill bis zum Anschlag und passt  bestens zur Hölle dieser Ehen, in der die Männer je nach Potenz zwischen „Zuchtbulle und Hausbursche“ zu funktionieren haben und die Frauen mit ihren reichen und einflussreichen Familien nur als Karrieretrittbretter der Männer fungieren. Der einzige gemeinsame Nenner ist das Ertränken der Wahrheit im Alkohol, die sich im Suff bei dieser nächtlichen Einladung  in immer noch schlimmeren Eskalationsstufen offeriert.
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©Peter Litvai
Beeindruckend wandelt sich Antonia Reidel von der Prestigegattin im lila Smoking zur Femme Fatale im offenherzigen roten Abendkleid in eine durch und durch gebrochene Frau in schwarz-grauen Alltagsklamotten, nicht nur durch die Optik (Kostüme Iris Jedamski), sondern durch ihr facettenreiches Spiel, das alle Stadien dieser verletzten Seele verständlich macht. Das Wesentliche im Leben, Mutterschaft und Liebe, blieb Marta verwehrt, weshalb sie ihren Mann als kompletten Versager dressiert und drangsaliert. Olaf Schürmann feuert als intellektueller Geschichtsprofessor im Bademantel mit schwerem Geschütz zurück, auch wenn aus der Flinte zunächst nur witzig ein Regenschirm schießt. Unter seiner Hauspantoffeloptik blitzt die Rachsucht verletzter Männlichkeit. Olaf Schürmann muss nicht unbedingt  laut werden. Mit seiner charismatischen Stimme durchdringt er souverän das Gezeter der anderen, die er spöttisch durchschaut und mit Georges Geschichtenspielchen systematisch mit den Abgründen der Wahrheit konfrontiert. 
Mit Honey weitet Regisseur Heinz Oliver Karbus das Stück in eine gekonnte US-Groteske. Blond, im türkis schillerndem Kleidchen, das beige Täschchen auf dem Schoß, die Beine eng brav zusammen verwandelt sich Ella Schulz in ein Edel-Barbiepüppchen passend zum Wohninterieur. Mit gewöhnungsbedürftig verfremdeter Stimmmodulation, reduziert auf wenige Sprachschablonen wie ein Papagei alles nachbabbelnd  wird sie zur mechanisierten Farce eines funktionierendes Töchterchens aus gutem Haus, erstklassig von Ella Schulz in Szene gesetzt, ganz Tussi, wenn Honey  ihren Kummer in Brandy pur ertränkt, kotzt, abtanzt und am Schluss nur noch erbarmungswürdiges, allein gelassenes Mädchen im Alkoholdelirium. David Lindermeier lässt als smarter Ehemann Nick von der ersten Minute an die unheimliche Aggressivität dieses Ehrgeizlings spüren, dem jegliche Empathie fehlt. Er macht aus ihm den eigentlichen Kotzbrocken, der nur austeilt, ohne schon eingesteckt zu haben. Zerschollen sind in dieser Nacht alle vier. Als George  den Arm um Marta legt, stockt der Atem im Zuschauerraum vor Betroffenheit.
Michaela Schabel