Landestheater Niederbayern – „Als Regisseur ein Spielanstifter“ – Interview mit Regisseur Markus Bartl

Interview mit Regisseur Markus Bartl präsentiert von www.schabel-kultur-blog.de
©Peter Litvai
Zehn Jahre war Markus Bartl Spielleiter am Landestheater Niederbayern. Mit dem Umzug ins Theaterzelt zog er sich aus dieser Arbeit zurück, um mehr Freiraum zum Inszenieren zu haben. Als freier Regisseur und Dozent an der Akademie für darstellende Kunst in Regensburg wird er künftig mit nur einer Produktion pro Jahr nicht mehr so präsent am Landestheater Niederbayern sein. Theaterbesucher, die die künstlerische Auseinandersetzung schätzen, bedauern das sehr. Für Markus Bartl ist es andererseits noch einmal eine Chance sich andere Theater kennenzulernen. Für die nächsten drei Jahre ist er schon ausgebucht.
Herr Bartl, sie sind derzeit in Landshut der Regisseur, der mir seinen Inszenierungen das Publikum immer sehr überrascht. Ich erinnere mich an „Depeche Mode“, eine Inszenierung, die heiß diskutiert wurde.
Es war die erste Inszenierung nach „Kabarett“ und ich war begeistert von dem Roman, weil er das Leben in Osteuropa so authentisch darstellt. Ich bin gar nicht auf die Idee gekommen, dass das Stück beim Publikum nicht ankommen würde. Ich hatte den Roman selbst dramatisiert und Serhij Zhadan, der Autor, war ganz begeistert von der Premiere. 
Umso überraschter war ich über die Wirkung. Ich war selbst ganz aufgeregt, dass ich sozusagen das Publikum gespalten hatte.
In der Ukraine, in Charkiw war ihre Inszenierung als Wiederaufnahme mit russischen Schauspielern ein großer Erfolg. Wie kam es überhaupt dazu, dass Sie „Depeche Mode“ dort inszenieren konnten?  
Das Goethe-Institut kontaktierte mich, ob nicht ein Stück inszenieren könne. 
Ich schlug „Depeche Mode“ vor. Serhij Zhadan übersetzte meine Version ins Ukrainische zurück, allerdings geglättet. Dort darf man im Theater alles darstellen, aber nicht sagen. 
Fühlt sich die Arbeit in der Ukraine anders an?
Es ist unwahrscheinlich, was bühnentechnisch alles möglich gemacht wird und  wie gut die Schauspieler sind. Dort hat man zwar kein Geld, aber auch keine Schere im Kopf, die ständig alles begrenzt und auf einen Kompromiss reduziert. Die Leute haben einen unheimlichen Ehrgeiz es trotz der fehlenden Mittel hinzubekommen.  
Ihnen ist bei den diesjährigen Burgenfestspielen eine großartige Interpretation vom „Glöckner von Notre Dame“ gelungen. Trotzdem mussten Sie viel Kritik einstecken. Wie gehen Sie damit um?
Jetzt rege ich mich nicht mehr auf, wenn Kritik konträr ausfallen. Ich kann gelassen bleiben. Ich will ja nicht provozieren, mich nicht darstellen, sondern  möchte auf Probleme hinweisen, die Leute aus der Reserve locken. Jede Inszenierung ist eine politische Haltung. Wenn gerechtfertigte Kritikpunkte zur Sprache kommen, ist das in Ordnung. Wenn Kritik rein emotional ist, dann hat es mit fertigen Erwartungshaltungen zu tun. Das ist das Problem des Kritikers nicht meines. 
Der „Glöckner von „Notre Dame“ ist nicht unbedingt das Stück, das Sie sich selbst aussuchen würden. Welche Stücke bevorzugen Sie?
Im Grunde inszeniere ich alles, Kinderstücke, Operette, Musicals. Den  „Glöckner“ gab mir Stefan Tilch, weil er dachte, dass sei ein Stück für mich. Das  ist ja auch eine Form von Vertrauen, wenn man so ein bekanntes Stück neu inszenieren darf. Ich versuche immer, mir das Anliegen eines Stoffes eigen zu machen und arbeite im Dienste des Stückes. Es geht mir immer darum, die Schauspieler und die Figuren dahinter groß zu machen.
Hätten Sie einen Inszenierungswunsch frei, wo und was würden Sie inszenieren.
Am liebsten in Stepanakert, der Hauptstadt Bergkarabachs, der heutigen Autonomen Republik Arzach  auf dem Gebiet der ehemaligen Staatsfläche Aserbeidschans, die eigentlich gar nicht als Staat existiert, weil sie international nicht anerkannt wird. Stefans Zweigs „Die Kinder der Rothschildallee“ würde dort sehr gut passen. 
Natürlich würde ich auch in größeren Häusern in Deutschland sehr gerne inszenieren, um einfach die bessere technische und mediale  Möglichkeiten ausprobieren zu können.  
Warum sind Sie relativ früh von der Schauspielerei  verabschiedet?
Obwohl ich mit sehr guten Regisseuren gearbeitet habe, habe ich schnell gemerkt, dass das nicht das meine ist. Was ich da machte, erfüllte mich nicht. Mir ging es auch nicht besonders gut. Ich begann wieder zu studieren, Germanistik und Musikwissenschaften und entschied mich dann, Regie zu lernen, bei guten Regisseuren das Handwerk, z. B.bei  Krysztof Warlikowski, Elke Lang, Sebastian Hartmann, Lech Majewsky. Das waren  sehr unterschiedliche Persönlichkeiten, nicht immer auf meiner Wellenlänge, aber handwerklich sehr gut. 
Was war die Quintessenz?
Wenn ich eine Regie mache, muss ich ein klares Konzept haben. Aber ich drücke es den Schauspielern nicht auf. Mein Position als Regisseur ist es nicht zu sagen, was die Leute machen müssen, sondern sie eintauchen zu lassen und sie zu überzeugen, auf ihre Art und Weise zu erzählen. Ich bin sozusagen ein  Spielanstifter, verschenke Ideen, mit denen die Schauspieler agieren können natürlich mit einem klares Konzept im Hinterkopf. Wenn ich ein Stück inszeniere, weiß ich immer, wie es geht. Bei Kontroversen greife ich im Dienst der Sache resolut ein. Das Konzept ist wichtiger als die Harmonie. Dann gibt auch einmal Krach.
Sich immer wieder auf ganz neue Inhalte einzulassen, sie ganz neu zu durchdenken, bedarf großer geistiger Inspiration und mentaler Energie. Wie schaffen Sie es Herr Bartl immer so kluge Konzepte zu entwickeln?
Ich arbeite ganz lange an einem Stück. Eineinhalb Jahre im Vorfeld beschäftige ich mich schon oft mit dem Stoff. Ich lasse mir Zeit, ihn wirken zu lassen. Deshalb mache ich nach Möglichkeit auch nicht mehr als drei Inszenierungen pro Jahr. Auftanken kann ich am besten  beim Wandern und Klettern mit meinen Lebenspartner Philipp Kiefer. Wenn ich über einen steilen Grat laufe, bin ich ganz bei mir. Das ist volle Konzentration, wie Meditation. Der höchste Berg, den wir gemacht haben, war der Pik Lenin in Kirgistan. Wir zur Spitze 7134 m hoch schafften wir es nicht ganz. Aber gerade diese Entscheidungen, wie weit man gehen darf, sind so wichtig. Da gibt es viele Verbindungen zum Theater, z. B. die Demut und der Respekt vor Leuten, denen man voll vertrauen kann. 
Werden Sie Landshut verlassen?
Nein, Landshut ist mein Lebensmittelpunkt geworden. Es ist der Ort, an dem ich am zweit längsten wohne, meine zweite Heimat. Wir fühlen uns hier sehr wohl. 
Herzlichen Dank für das Gespräch Herr Bartl, Ich freue mich schon auf Ihre neue Inszenierung „Willkommen bei den Hartmanns“ in der nächsten Saison.