©Robert Schittko
Benjamin Jürgens erzählt aus seinem Leben. Eigentlich mag er Theater gar nicht, zu eng, zu dunkel, zu viele Menschen, zu viele Regeln. Mitgemacht hat er nur, weil dieses Projekt ganz anders sein soll. Texte auswendig lernen geht gar nicht, ein bisschen tanzen schon und mit seinen flatternden Händen verblüfft Benjamin Jürgens mit einer rasanten Körperperkusison. Christian Hempel, zum ersten Mal auf der Bühne, wird mit dem Auto vorgefahren und erzählt von seinem Nachbarn, der juristisch gegen ihn vorzugehen droht, weil er Tourette nicht kapiert und nicht versteht, dass Christian Hempel Schimpfwörter, die er hört, zwanghaft wiederholen muss. Bijan Kaffenberger, der dritte Gast dieser Bühnenshow, hat seine Tics als Politiker mit Handycap schon ungewöhnlich gut im Griff. Wenn er trotzdem die Kontrolle verliert, tatsächlich oder gespielt sei dahingestellt, gewinnt der Abend kabarettistische Qualitäten.
©Robert Schittko
Alle stehen unter Strom. Der Zuschauer spürt die Angst der Akteure aus der Rolle zu fallen, aber auch ihr wachsendes Selbstbewusstsein. Im Spieleifer sich zu zweit aus der Balance zu bringen, wirkt ein Satz wie „Vielleicht ginge noch ein Tic mehr“ fast selbstironisch. Wer zuerst tickt, hat verloren. Doch beide gewinnen an Sympathie. An der Kürze der Spielsequenzen wird die Anstrengung der Tourettes deutlich.
Heiter humorvoll konfrontiert dieser Theaterabend das Publikum mit einem Krankheitsbild, das in der Gesellschaft wenig thematisiert wird, von Musikerin Barbara Morgenstern im Hintergrund begleitet. Aus den motorischen, akustischen und verbalen Befremdlichkeiten entwickelt sich Schritt für Schritt Verständnis für die Botschaft des Stücks, die Benjamin Jürgens emotional in einem Song zuspitzt. „Für jeden gibt es einen Platz da…jeder ist verrückt.“
Insofern ist die Aufwertung dieses Theaterprojekts durch die 10er Auswahl des Berliner Theatertreffens weniger unter dem künstlerischen als gesellschaftlichen Aspekt ein Volltreffer, das seichte Talk-Show-Format ein Zugeständnis, was möglich ist,
„Chinchilla, Arschloch, waswas“ ist eine Produktion vom Künstlerhaus Mousonturm (Frankfurt), Schauspiel Frankfurt und Rimini Apparat in Koproduktion mit dem Westdeutschen Rundfunk und HAU Hebbel am Ufer (Berlin)