Berliner Volksbühne – Gastspiel Schauspiel Hannover „Die Edda“

Theaterkritik "Die Edda" präsentiert von schabel-kultur-blog.de

Großartig beginnt die Inszenierung dieser heidnischen Schöpfungsgeschichte vom Schauspiel Hannover, ein unbestritten anspruchsvolles, mutiges Projekt. Von Thorleifur Örn Arnarsson und Mikael Torfason neu erzählt  weitet sich die Edda zur Weltengeschichte geografisch über Europa hinaus bis nach Asien und Afrika, durch die Epochen. Es ist eine Welt, in der eine den anderen nicht mehr schützt, wo nur noch getrommelt und geschrien wird. Gleichzeitig integriert Autor Mikael Torfason, wie er gegen den Willen seines Vaters, eines Zeugen Jehovas, durch eine Bluttransfusion durch die Ärzte vom Tod gerettet wurde und der Vater den Glauben aufkündigte und Alkoholiker wurde, was einmal mehr die Fragwürdigkeit des Glaubens an die Götter, gleich welcher Art, unterstreicht.

Unter der Regie von Thorleifur Örn Arnarsson entwickelt sich die Geschichte der Götter und Menschen als facettenreiche, brüchige Collage  aus dem Nichts einer  Eislandschaft in das Chaos der Massenverarmung unserer Tage. Die Weltenesche wird hochgehievt, Thor muss auf ein Auge verzichten, damit es im See der Erkenntnis die Zukunft bis Trump sieht. Großartig später  seine brachialische Mordlust „Ich muss töten“ schreit er hinaus in die Welt und schwingt unerlässlich den Hammer, dass der weiße Boden sich rot durchtränkt.

Doch der Mix aus theatralem Spiel der Götter, ihrer popstarartigen Auftritte, grotesk inszenierten Rivalitäten, ihrer skurril symbolischen Kostüme (Karen Briem), indem sich die  Lächerlichkeit der Götter offeriert, Trommelperkussion verliert zunehmend genauso an Spannkraft wie der Live-Musik-Mix  zwischen melancholischen Chansons, Cello-, Klaviermusik und monumentaler Perkussion (Gabriel Zazes). Zu sehr wird das komplexe Spiel ständig durch Unterhaltungsnummern aufgequasselt. Eine touristische Führung durch den Theaterfundus zur „Edda“  mit satirischen Erklärungen,  die Götter in Superstarkult-Posen, später ein Auftritt von Trump nehmen der Inszenierung die Stringenz, machen sie schal, beliebig durch vielerlei und allerlei Effekthascherei.

In der  Pause erklärt ein akademischer Experte die Edda im Kontext von zyklischen Religion-Macht-Konstellationen und linearer Entwicklung, wobei letztere  über Humanismus, Aufklärung, Kapitalismus zu Google doch ohne erkennbare Kongruenz zum Spiel bleibt.

Fulminant sind Bühnenbild (Wolfgang Menardi) und Lichtregie konzipiert. Das Weltenrund kreist, in seinen polaren Stimmungen zwischen weißer  Vereisung und blutrotem Machtspektakel ständig präsent. Die Götter mittendrin agierend oder vom Rande beobachtend.

Im zweiten Teil  steht die Kulturgeschichte der Menschheit im Zentrum.

Theaterkritik "Die Edda" präsentiert von schabel-kultur-blog.de

©Katrin Ribbe

Ein babylonisches Baugerüst um die Weltenesche, vollgestopft mit kulturellen Anspielungen, archaischen Figuren quer durch die Weltregionen und Epochen, in hierarchischer Stufung, den Slums ganz unten beginnt sich endlos zu drehen, verliert an Energie, bleibt stehen, wird demontiert. Während ein Choral anstimmt, herrscht der Tod.  Jetzt kommt selbst Baldur zu Fall, obwohl er glaubte „Ich kam immer davon.“  Das Weltenende als weißes Nichts gleicht dem Anfang, der nichtsdestoweniger ahnbar ist.

gespielt von  Johanna Bantzer, Susana Fernandes Genebra, Sarah Franke, Iza Mortag Freund, Philippe Goos, Maximilian Grünewald, Mathias Max Herrmann, Sophie Krauß, Wolf List, Christoph Müller, Hagen Oechel, Andreas Schlager