Berliner Theatertreffen – Max Frischs „Graf Öderland“ in einer Koproduktion des Theaters  Basel und des Residenztheaters München

Theaterkritik "Graf Öderland" präsentiert von www.schabel-kultur-blog.de

©Birgit Hupfauf

Der Gefangene, ein gewissenhafter Bankangestellter, ermordet nach 14 Jahren Langeweile einen Hausmeister. Dieses Ereignis wird für den Staatsanwalt zu einem traumatisches Erlebnis. Er taucht ab in einen Befreiungstraum, in dem er seinen gesellschaftlichen Status hinter sich lässt. Bei den Köhlern im Wald findet er eine wilde Gefährtin. „Graf Öderland geht um die Welt mit der Axt in der Hand“ dröhnt es in Rammstein-Manier von der Liveband.

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Als Öderland immer mehr Anhänger gewinnt, wird der private Ausbruch zum Politikum. Die Szenerie schaukelt sich zu einem staatsgefährdenden Aufruhr hoch mit Santorin als Sehnsuchtsort. Dort leben und frei sein ist das Ziel des anarchischen Staatsanwalts, der in Öderland geboren wurde, wo man die Menschen überlisten muss, nur die Früchte der Arbeit wachsen, die Sommer sind kurz, im Nebel alles vergraut und die Gespenster der Verantwortung kommen. „Man lebt um zu opfern. Alles schreit nach Sinn.“

Das Establishment, mit Kanalratten in der Hand, als hätte es die Rebellen schon gefangen, rappt den Endlossong von „Coco“ als Metapher privater Gier. Sie ist die sexy Dame, das Glück schlechthin. Sie wechselt die Systeme und wen sie nimmt, der ist ein gemachter Mann.

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Als sie Graf Öderland wählt, wird klar, dass er die Macht behält, womit der Ausbruch des biederen Staatsanwalts ad absurdem geführt wird. „Wer um frei zu sein die Macht stürzt, übernimmt das Gegenteil von Freiheit, die Macht“, ist die bittere Botschaft dieser Moritat. Die einzige Lösung „Rasch! Jetzt erwachen.“ In der Röhre steht der Staatsanwalt, als wäre nichts gewesen. Doch sein weißes Hemd ist blutgetränkt. Eine wahrhaft gelungene Moritat über privaten Eskapismus, gespielt von einem exzellenten Ensemble.

Thiemo Strutzenberger wurde  für seine beeindruckende schauspielerische Leistung als Graf Öderland  mit dem 3sat-Schauspielerpreis 2020 ausgezeichnet.

Hinter der Bühne: Stefan Bachmann (Regie), Olaf Altmann Bühne), Esther Geremus Kostüme, Sven Kaiser (Musik), Sabina Perry (Körperarbeit), Roland Edrich (Licht), Barbara Sommer (Barbara Sommer)

Auf der Bühne: Linda Blümchen, Klaus Brömmelmeier, Steffen Höld, Barbara Horvath, Mario Fuchs, Julius Schröder, Thiemo Strutzenberger, Moritz von Treuenfels, Simon Zagermann, Musik-Ensemble: Thomas Byka, Michael Goldschmidt, Sven Kaiser, Sylvia Oelkrug.

Vor dem ersten Lockdown, im Februar 2020, hatte Stefan Bachmanns „Graf Öderland“ in Basel Premiere. Über das Programm des Berliner Theatertreffens hinaus ist die Inszenierung im 3sat-Archiv zu sehen.