Berliner Schaubühne –  „Popular Mechanics“ aus Peking – Festival International Neue Dramatik

Theaterkritik präsentiert "Popular Mechanics" von schabel-kultur-blog.de
Dazu braucht es kein Bühnenbild. Die Schaubühne weitet sich wie zu einem großen leeren Raum. Ein wandfüllendes Video lässt den Aufbau des Originalspielorts in Peking im Zeitraffer erleben. In einem zweiten Video geben die Mitwirkenden Statements über ihre Rollen, woraus die Spannbreite menschlicher, gesellschaftlicher Aspekte inklusive ihrer literarischen Verarbeitung deutlich wird, von Shakespeares „Sein oder Nichtsein“ bis zur totalitären Forderung „Um siegen zu können, müssen Sie mich erschießen“.
12 Darsteller, die meisten Laien mit künstlerischen Ambitionen, sitzen in Alltagskleidung in Reih und Glied nebeneinander, vorne an der Bühnenrampe drei Mikrophone. Die Mitwirkenden stellen sich nacheinander selbst vor, spielen ihre Rolle und haken gegenseitig interviewmäßig nach. Mit diesem Konzept stehen nicht die künstlerischen Leistungen im Vordergrund, sondern die Inhalte der Aussagen, die durch die Verknüpfung von Biografien mit Texten aus Literatur und Unterhaltungsgenres fast dokumentativen Charakter entwickeln.
In Monologen der Weltliteratur, HeldInnen aus Hongkong-Filmen und Liedsequenzen, zusammengestellt von Zhuang Jiayun, spiegeln  sich die Träume der Darsteller, wobei sich gleichzeitig eine Ironisierung autoritärer Systeme ergibt und die schlichten, teilweise ungelenken Performances an Lebensnähe gewinnen.
Schon der erste Performer bringt das Oszillieren von systemgetreuem Funktionieren und innerer Auflehnung auf den Punkt. Ein Schauspieler spielt das Schweigen vor Aufregung vor seinem Auftritt. Der Wecker klingelt. Seine „Zeit ist um“, bevor er überhaupt anfangen kann. Dieses Weckerklingeln wird zum Leitmotiv und unterbricht in Folge abrupt alle Träume als Ausdruck getakteten Lebens und Drills. Jede Person bringt über die gespielte Rolle die essentiellen Sätze ihres Lebens, oft von resignativem Charakter. „Man muss Ausdauer haben, um sein(?) Kreuz zu tragen.“ Ein ehemaliger Tänzer und Choreograph zieht sich splitternackt aus. „Tänzer sind Knechte.“ Sie tanzen, „was das Publikum sehen will“. Eine Amazon-Beschäftigte verwandelt sich in eine drittklassige Chansonsängerin. Eine Gehörlose strahlt vor Glück, einmal im Rampenlicht zu stehen. Unter dem medial zugeschalteten Volksjubel transferiert  ein alter Universitätsprofessor immer noch Lenins revolutionäre Sprüche auf die Gegenwart. „Es gibt nur eine Lösung den Sieg… Der Tod ist keine Alternative“. Wenn ein Rentner mit expressiver Bassstimme ein russisches Volkslied singt, eine alte Opernsängern die Legende von der Roten Laterne in Erinnerung bringt, mehr noch wenn eine Frau in die Rolle eines Eunuchen schlüpft, der sich vom Vater entmannen lässt, um nicht zu verhungern, entstehen berührende Szenen. Dann erschließen sich  „Popular Mechanics“ der Gegenwart aus den unterschiedlichen Wurzeln der chinesischen Historie. Mit einem einstigen Profisportler und einem performenden Texas-Poker-Spieler in Kombination mit Tschechows Verkauf des „Kirschgartens“ als Anspielungen auf die Globalisierung von Lebenswünschen und auf die  Expansionspolitik der Geldmächtigen  endet die Performance im fröhlichen Party-Gehopse als finaler Abgang noch nicht.
Im Dunkel sucht sich ein kleines Mädchen den Weg mit der Taschenlampe. Mit Shakespeares „Macbeth“-Passage „Sie (Lady Macbeth) hätte später sterben können“ verweist sie auf das Leben als Schattenbild, das nichts bedeutet und auf die Flüchtigkeit und Bedeutungslosigkeit einer(?) Stunde Bühne verweist. Im Video-Epilog sind die Darsteller in Großaufnahme, wortlos  mit traurigen, depressiven Blicken abgenabelt von allen Träumen, wieder ihren realen Situationen ausgesetzt.
Das ist in sich von Regisseur Li Jianjun konsequent konzipiert und gibt trotz des ständigen Mitlesens der Übersetzungen in Deutsch bzw. Englisch gerade durch die monotone Struktur noch Raum für selbstständiges Reflektieren.