Berliner Ensemble „Endspiel“

Endspiel gespielt vom Berliner Ensemble
©Foto Lovis Ostenrik

Immer noch erscheinen Nell und Nagg, die verstorbenen Eltern aus den Tonnen des Todes.  Sohn Hamm sitzt blieb und bewegungslos im Sessel und Diener Clov hampelt gehorsam umher. Vor 50 Jahren inszenierte Beckett sein Endspiel im Berliner Ensemble. Unter der Regie von Robert Wilson ist es jetzt dort wieder zu sehen, großartig inszeniert und gespielt. Man kann sich dem Zauber dieses absurden Spiels, das eben gar nicht so absurd nicht entziehen.  „Was ist lost? Was geschieht eigentlich?“. Wilson entdeckt faszierend viele Ebenen.

Völlig stilisiert werden Menschen zu Robotern des Immergleichen. Vom Tage ihrer Geburt an versuchen sie zu gehen und sterben in Ritualen und Egozentrismus erstarrt schon zu Lebzeiten.

Gnadenlos herrscht blind und lahm Hamm, alias Schneider, auf seinem Stuhl, es ist ein schwarzer dreirädriger Thron, mit den in Clov sein Diener millimetergenau hin- und herzufahren hat. Doch nie stimmt die angepeilte Position. Mit rotem Tuch bedeckt, wirkt er wie ein Scharfrichter und das ist er in Bezug auf Clov, den er durch seine Schikanen zum Roboter degradiert. Herrlich pantomimisch, mit Dinner-for-One-Charme, von der Tontechnik perfekt akustifiziert, rennt Georgios Tsivanoglou im Viereck, knallt er immer wieder gegen die Türkante als Running Gag eines schabloniert schmerzhaften Lebens.  Ein Click von Hamm auf die Fernbedienung und Clov wuselt herein und hinaus wie ein Hündchen, das Bein in der Kurve für den Richtungswechsel schnell mal höher hebend.

Aus der Tiefe tauchen  Nell (Traute Hoess)  Nagg (Jürgen Holtz) aus ihren Tonnen auf. Sie sind wie Geister der Vergangenheit, in Ritualen erstarrt schon tot und und doch noch ganz real, wenn Hamm sie herclickt. Traute Hoess lässt Nell  in Erinnerungen schwelgen und aufschluchzen. Jürgen Holtz Nagg macht aus Nagg den misanthropischen Nörgler, der nur noch mit Essen beschäftigt ist.

Was ist der Mensch? Ein von den Eltern bereits weit weg geschobener, lästiger Schreihals, wie Hamms Erinnerungen offenbaren? Ein von der Maloche Malträtierter, wie das gleisende Licht zwischen Jalousienoptik und der laute Produktionslärm signalisieren? Ein von Gott Verlassener?  „Der Lump existiert nicht … Jenseits ist auch die Hölle.“  Becketts Menschen sind auf sich selbst zurückgeworfen, völlig bedeutungslos, werden her- und weggeclickt. Wer clickt, lebt.  Der Hund ist nur noch ein Scherenschnitt. Die riesengroße Ratte lauert schon. Das „Endspiel“ der Menschen dauert nicht mehr lange.

Und wie ist der Zustand der Erde? Über den Wolken blicken Hamm und Clov durch das Fernrohr auf eine graue, „hellschwarze“ Erde, wo das Meer in Blei wogt und der Leuchtturm im Wasser liegt und in den surrealen Eisgebirgen des eigenen Herzens erkennt Hamm. „Ich hätte helfen können. Ich hätte retten können.“

Die Bühne mit aufblickenden Variete-Lämpchen umrahmt, entschärft Wilson das Spiel als Spiel und belichtet es doch als die existentielle Variante unsere Seins. Einfach großartig!