Berlin-Theatertreffen-Castorfs „Faust

Michaela Schabel besuchte für schabel-kultur-blog.de Carstorfs Faust beim Berliner Theatertreffen

Unter Castorfs Regie wird Goethes „Faust“ zerlegt, neu zusammengesetzt, mit Texten, Stilbrüchen schier in Endlosschleife collagiert.

Aus Ausufern ist der letztjährigen Ausnahmesituation geschuldet. Nicht nur Castorf verließ die Volksbühne, mit ihm fast das gesamte Ensemble und damit verschwand die Aura dieses legendären Berliner Theaterhauses. Man wollte noch einmal den ganzen Kosmos des Theaters knallen lassen. Doch nach sieben Stunden Spielzeit ist man genauso klug wie je zuvor, das Hirn voller Bilder, Rhythmen, Kostümgefunkel und schauspielerischer Explosionen und Verwandlungskunst.

Michaela Schabel besuchte für schabel-kultur-blog.de Carstorfs Faust beim Berliner Theatertreffen

©Thomas Aurin

Doch „Oh Gott, diese Kunst ist lang… was soll das Ganze“ Mit derart ironischen Infragestellungen hat Carstorf die Lacher auf seiner Seite und nimmt den Kritik klug selbst vorweg. Aber Spiellust in Ehren, in heutigen Zeitkategorien nervt Weitschweifigkeit, wenn neue Erkenntnisse kaum zu Tage befördert werden. Der rote Faden, dass über Homunculus ein neuer Mensch entstehen soll, verknäuelt sich in epischer Spielbreite, zwei Drittel davon wieder in Carstorf-Denic-Deinert-Klütz-Manier in den Innenräumen des multiepochalen Bühnenverschlags gefilmt. Die schauspielerische Brillanz kommt dabei bestens  zugute, Theaterflair bleibt auf der Strecke.

„Alles Quatsch!“, was natürlich das Gegenteil anvisiert, ist das natürlich nicht. Allein die Textmontage ist gigantisch. Facettenreich und raffiniert sind die Querbezüge und Spiegelungen zwischen historischen und heutigen Problemstellungen. Doch koloniale Ausbeutung, Machismo, die Rolle der Frau, die Knechtschaft durch Religionen verlieren in der Wiederholung an Kraft. Einzelne Spielszenen,  die Einspielungen algerischer Revolutionsfrauen in Schwarz-Weiß bohren sich ins Bewusstsein. Manches rundherum bleibt spielerischer Klamauk, mit flotten Tanzübergängen, in immer neuen Eye-Catcher-Kostümen (Adriana Braga). Jeder ist hier absoluter Profi, der seine individuellen Talente nach dem Motto „Theater ist unser Leben“  ausleben darf.

©Thomas Aurin

Wer kann es Castorf und seinem Team schon verübeln zum Schluss noch einmal alles in den Ring zu werfen. Erinnern wird man sich an diese faustsche Theater-Film-Marathon, der jeden Wagner übertrifft,  immer, erst recht an das Spiel dieser Ausnahmeschauspieler. Martin Wuttke (Faust), Marc Hosemann (Mephistopheles), Valery Tscheplanowa (Margarete, Helena), Alexander Scheer (Lord Byron, Anaxagoras), Sophie Rois (Hexe), Lars Rudolph (Doktor Wagner), Lilith Stangenberg (Meerkatze Satin), Hanna Hilsdorf (Homunculus), Daniel Zillmann (Monsieur Bordave, directeur du Théatre des Variétes), Thelma Buabeng (Phorkyade), Frank Büttner (Valentin), Joelnize Silva Hein (Papa Legba, Baucis), Abdoul Kader Traoré (Baron Samedi, Monsieur Rap), Sir Henry (Leiermann)

Michaela Schabel