Berlin – „The Silence“ – ein autofiktionales Stück von Falk Richter in der Schaubühne als deutsche Erstaufführung

Theaterkritik "The Silence" in der Schaubühne präsentiert von www.schabel-kultur-blog.de

©Schaubühne Berlin, Foto: Gianmarco Bresadola

Für sein Alter Ego auf der Bühne holte Falk Richter Dimitrij Schaad, bekannt über das Gorki-Theater und diverse Filmrollen, an die Schaubühne. Flapsig moderiert er den Theaterabend an, gibt den möglichen Hustern noch Raum sich zu räuspern und empfiehlt dann sehr direkt, das nächste Mal am besten gleich zu Hause zu bleiben, um nicht zum Störfaktor zu werden in diesem großartigen Theater, dem „Leuchtturm“, sozusagen dem „FC Bayern“ unter den Bühnen. Charmant wie ein Zauberkünstler wechselt er auf 1, 2, 3 die Rolle. Als Außenseiter Falk Richter wirft er Schlaglichter auf drei Generationen Familiengeschichte und offeriert dabei die unmittelbare Wirkung deutscher Geschichte auf familiäre Verhaltensweisen. Ohne dramaturgische Handlung, nur über Interviews und Monologe entwickelt sich ein dichtes Soziogramm.

Eigentlich ist es Frühling, aber der Baum wirkt verdorrt, Wiesenhügel in Lilatönen signalisieren eher Blut als Wachstum, Steinbrocken die Probleme, die auf dem Weg liegen, kleine Mauern die Widerstände des Schweigens, ein Berg zerknüllter Papiere die Frustration nicht das formulieren und sagen zu können, was diesen Falk Richter zutiefst bewegt. Die Lichtinstallation wie ein zerbrochenes Mikado ist einmal mehr Ausdruck, wie stark die Erhellung der Ereignisse unterbrochen ist. Warum wurde er als Junge von der Mutter wegen Nichtigkeiten in den Kleiderschrank gesperrt, vom Vater geschlagen, wegen seiner Homosexualität mit einer Therapieadresse abgespeist, statt ihm Verständnis und emotionale Wärme entgegenzubringen? Warum hatte der Vater ihm nicht einmal in der Todesstunde etwas zu sagen?

Falk Richter geht zwei Generationen zurück. Die Gräuel des Krieges wurden nie besprochen, gruben sich als Traumata tief in die Familiengeschichte ein. Da gibt es den Großvater, der völlig verroht, aus der sibirischen Kriegsgefangenschaft zurückkehrt, dominant, gewalttätig keinerlei Interesse an seiner Frau und den sechs Kindern hat, stattdessen als Heiratsschwindler die Gier nach Frauen und Vergnügen auslebt. Genauso dominant ist Falks Vater. Die Frauen haben zu kuschen. Zwischen extremem Pflichtbewusstsein und Ordnung versuchen sie zu überleben. Gefühle und Empathie bleiben Fremdwörter. Wie eine Burg, so verschlossen und uneinnehmbar wirkt der elterliche Bungalow in Buchholz in der Nordheide, den die Kamera immer wieder als Endlosvideo umkreist. Die Türen sind verschlossen. Bäume in dem großen Garten verstellen den Blick durch die Fenster. 

Nach außen wird der Schein eines bürgerlichen Lebens gewahrt, was wie die Homosexualität des Sohnes nicht ins System passt, verschweigt man. In einem Interview mit der Mutter als Video zugeschaltet hakt Falk Richter selbst nach, warum er nie Antworten auf seine Fragen bekam und das Publikum erfährt, was diese Frau während der Flucht und als ledige Mutter nach dem Krieg von den Eltern vor die Tür gesetzt zu leiden hatte. Sie wirkt sympathisch und durchaus offen. Wenn sie ihre Schwimmbrille aufsetzt, um ihre täglichen 1000 Meter zu kraulen, gelingt eine großartige Metapher für ihr Leben, in dem sie oft unter-, aber auch immer wieder auftauchte. Dazu passt das versöhnliche Statement der Psychotherapeutin der Mutter, ebenfalls von Dimitrij Schaad gespielt, Verdrängen als Überlebensstrategie. 

Nachdenklich, empathisch, leidenschaftlich, gefühlsexplosiv, als wäre es seine eigene Story, setzt Dimitrij Schaad das Ringen Falk Richters mit seiner Vergangenheit in Szene, zuweilen fällt er aus der Rolle, um seinem eigenen Ego als Schauspieler mit russischen Wurzeln Raum zu geben. Voller Aggression rebelliert er gegen die verhassten anti-homophoben Verhaltensweisen bis zum zornigen Aufruf zum bewaffneten Protest aller Schwulen, ein verbaler Rundumschlag, der schnell den Angleichungen an gesellschaftliche Normen und selbstkritischen Überlegungen über die Traumata weicht, die seine Generation der Jugend hinterlässt. Final als nostalgischer Aussteiger-Hippie im Tipi als Modell für die Zukunft? Die Bewertung überlässt Falk Richter dem Publikum. Das Miteinander-Reden ist die Schlüsselbotschaft. 

Künstlerisches Team: Falk Richter (Text, Regie, Video), Katrin Hoffmann (Bühne, Kostüme), Daniel Freitag (Musik), Lion Bischof, Doris Waltraud Richter (Video), Carsten Sander (Licht), Nils Haarmann (Dramaturgie), 

Mit: Dimitrij Schaad auf der Bühne, Falk Richter und Doris Waltraud Richter im Video

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