Berlin – Schaubühne – Horvaths „Italienische Nacht“

Theaterkritik "Italienische Nacht" an der Schaubühne präsentiert schabel-kultur-blog-de

Thomas Ostermeier und Dramaturg Florian Borchmeyer mussten nicht viel an Horvaths „Italienischer Nacht“ ändern. Es ist frappierend wie sich in Horváths  pointierter Milieustudie über die übergriffigen Rechtspopulisten und dem Republikanischen Schutzverband von 1930 die Ereignisse von heute spiegeln und umgekehrt in den aktuellen AFD-Parolen die finstere Vergangenheit zu Wort kommt.

Wie Horvath bleibt Ostermeiers Version in der Provinz verortet. Als gebürtiger Niederbayer weiß er, wie Provinz funktioniert. Nichtsdestoweniger assoziiert man in seiner Inszenierung en miniature die städtischen Umtriebe der Gegenwart. Die Drehbühne kreist zwischen miefigen Dorfwirtshaus und Klo, Draußen und Drinnen, der Dunkelheit und der hyperrealistischen Helligkeit (Bühne: Nina Wetzel). Die einzelnen Figuren agieren in kantiger Charakterisierung, wobei die Rechten bis auf eine Ausnahme gesichtslose Masse der Statisterie bleibt.

Ostermeier fokussiert wie Horvath auf den Selbstzerfleischungsprozess der Linken. Sie spielen Karten, draußen marschieren die Rechten mit Fackeln und Fahnen vorbei, skandierend Nazi-Parolen. Drinnen wird ignorant weitergespielt. Wichtig ist nur, dass das eigene Programm, in diesem Fall die  „Italienische Nacht“ durchgezogen wird, selbst wenn die Nazis davor provokativ ihren Deutschen Tag feiern. Auf die Rechts-Rock-Party folgt „Mendocino“-Schnulzennacht im Stil der 70er Jahre, Reichswehrfahnen werden mit Faschingsgirlanden ausgewechselt, was einmal mehr zeigt, wie die Sozialdemokraten in immer gleichen Parolen und Ritualen längst den Blick für die Realität verloren haben und mit ihrer autoritären Behäbigkeit und dümmlichen Ignoranz die jungen Parteimitglieder verkraulen.

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©Arno Declair

Immer wieder dreht sich das Haus, voyeuristisch beobachtet aus dem Dunklen der Nacht. Bedrückend drängt sich der Gedanke auf, was lange her ist, schon wieder so nah da ist.

Draußen  passieren die eigentlichen Dinge. Der Marxist Martin plant parteintern die Revolte der Jungen gegen die Alten. Seine Freundin Anna soll einen Nazi ausspionieren und wird in Ostermeiers Version im Klo vergewaltigt.  Der Sozi-Bürgermeister pinkelt aus Frust und Zorn auf den Zigarettenautomaten. Das sind starke Szenen.

Unangenehmste Alphatiere sind sie alle drei. Martin (Sebastian Schwarz) will erneuern, nur um endlich ans Ruder zu kommen. Hinter der ideologisch naiven Begeisterung des jungen Nazi (Laurenz Laufenberg), das einzige Gesicht in der Masse der Rechten, lauert ausbaufähig brutale Triebhaftigkeit. Hans-Jochen Wagner offeriert im jovialem SPD-Vorstand den selbstherrlichen Haustyrann, der seiner seine Frau (Marie Burchard) bei jedem Wort über den Mund fährt und sie völlig isoliert.

Die Frauen sind Opfer wie einst, in denen sich künftige Entwicklungen von Rechts offerieren. In ihrem erfahrenen Leid wissen die Frauen die Lage durchaus richtig einzuschätzen. Die Stadtratsgattin (Marie Burchard) schreit ihren Zorn hinaus. In Annas (Alina Stiegler) Orientierungslosigkeit wächst still  kritische Distanz. Nur die Wirtin (Traute Hoess) agiert von Anfang an  pragmatisch zwischen den Fronten. Sie paktiert mit den Siegern, den Rechten. Die romantische Liebe hat gar keinen Platz mehr. Nur mit einer sicheren Existenz kann Leni (Veronika Bachfischer) den Karl, den Playboy-Sozi  (Christoph Gawenda) an sich binden, womit Ostermeier Horvaths dritte Schlussvariante als kapitalistische Ausweichsvariante der Gegenwart anklingen lässt.  Doch die Richtung zeigt eindeutig nach rechts.

Nach Applaus ist einem danach nicht zu Mute. In diesem Fall ein Qualitätszeichen.

Michaela Schabel