Landestheater Niederbayern-Balletturaufführung von Tennessee Williams „Endstation Sehnsucht“

Michal Hančovský
Genauso legt Libor Vaculík seine neuestes Ballett, die Uraufführung von Tenneesee Williams Erfolgsstück „Endstation Sehnsucht“ (1947) an. Das Ballett Budweis tanzt im Landestheater Niederbayern  eine gelungene Uraufführung von Tennessee Williams  „Endstation Sehnsucht“ zwischen Märchen und Barbiepuppenparodie
Libor Vaculík liebt es Geschichten zu erzählen, vor allem große Literatur in Kombination mit moderner Musik. Er  zeichnet die Figuren nach den literarischen Vorlagen und verblüfft  durch originäre Konzepte und poetische Interpretationen. Verantwortlich  nicht nur für die Choreografie, sondern auch für das Libretto, die Regie entsteht in Kooperation mit Radek Honc (Bühne) und Roman Šolc (Kostüme) eine märchenhaft beglückende „Endstation Sehnsucht“.
Ballett "Endstation Sehnsucht" präsentiert schabel-kultur-blog.de
©Michal Hančovský
Mit französischem Charme unter der Laterne begleitet von Mundharmonika steigt Blanche in den Zug Richtung „Désiré“ (Wunsch) und kommt an, wo sie so gar nicht hinpasst, im  spießigen Umfeld ihrer Schwester Stella. Doch Lichteffekte geben der Armut märchenhaft nostalgischen Puppenhauscharme. In einer Mischung aus Stummfilmbewegungen und  Barbiepuppenoptik tanzen Blanche (Petronela Bogdan) und Stella (Tereza Szentpeteryová) in schwesterlichen Begrüßungsritualen ein nicht enden wollendes Sich-Herzen und Liebhaben. Umso roher, grober wirkt Stellas Mann Stanley (Sebastiano Mazzia). In ständig wechselnden Pas de Deux verschieben sich die amourösen Beziehungen. Stanley liebt und schlägt Stella, flirtet und vergewaltigt Blanche und zerstört ihre aufkeimende Liebe zum schüchternen Mitch (Zudenke Mládek). 
Auf engsten Raum getanzt  fokussiert die Choreografie auf raffinierte Drehungen, in denen das erotische Spiel zwischen Liebe und Lust, Eifersucht und Aggression bestens zur Wirkung kommt. In nahtlosen Übergängen zu den theatralen Erzählpassagen entwickeln Tänzerinnen und Tänzer eine enorme schauspielerische Ausstrahlung, intensiviert durch Arvo Pärts asketische Musik. Die Auszüge von 13 Werken, von Petr Malásek über die Tonanlage arrangiert, passen durch Pärts Reduktion auf zwei Stimmen mit ihrer inneren Komplexität und ritualisierten Gleichförmigkeit bestens zur Personencharakterisierung. Angesichts der tänzerischen und optischen Reize bleibt die Musik allerdings größtenteils im Hintergrund.  
Gestreckt, gespreizt, gewinkelt die Beine, geflext die Füße und Hände wirken Blanche und Stella wie Gliederpuppen. Allein Frisur und Kostüme unterscheiden sie, Stella, der dunkle Latinotyp in Tupfenkleidern trotz Schwangerschaft unheimlich sexy, Blanche, blond in immer neuen meist pinken Kreationen eine ständig sich selbst inszenierende Marilyn-Monroe-Prinzessin mit fröhlicher Optik und trauriger Seele. Beide wirken wie gute Feen in der Pokerrunde männlicher Grobiane.
Wie Showeinlagen konzipiert Libor Vaculík die schönen und grausamen Erinnerungen an einstige Liebhaber, ihren Hinauswurf aus der Highschool wegen einer Liebe, ihr Abstieg in bezahlte Liebesdienste im Hotel, die unglückliche Ermordung ihres Mannes.
Den schüchternen großen Mitch kann Blanche leicht um den Finger wickeln. Im Pad de deux finden beide die Erfüllung ihrer Sehnsüchte. Kitschig rot leuchten die Dachflächen. Ist es wieder nur ein Wunschtraum angesichts der verruchten Vergangenheit von Blanche oder doch nicht? Zauberhaft poetisch lässt Libor Vaculík Blanche als Braut mit Mitch statt mit den Pflegern in die Nervenklinik im Zug der Sehnsucht entschwinden und Blanche macht sich mit ihrem Baby selbstbewusst auf den Weg in eine eigene Zukunft.
Die Sehnsucht im Herzen verhindert das Scheitern. Mit dieser gelungenen Uraufführung öffnet Libor Vaculík Tennessee Williams  „Endstation Sehnsucht“ die Tür ins Ballett. 
Michaela Schabel