Berlin – Mit Philipp Stölzls „Das Vermächtnis“ vom Residenztheater München gelang ein fulminanter Beginn der Berliner Theatertage

Theaterkritik "Das Vermächtnis" präsentiert von www.schabel-kultur-blog.de.

©Residenztheater München, Sandra Then

Philipp Stölzl inszeniert traditionell im diskursiven Regiestil der 1980er Jahre. Schauspieler und Autor diskutieren über das Stück. Was und warum wollen sie diese Geschichte erzählen? Entsprechend oszilliert die Inszenierung zwischen Spielszenen, monologisierend distanzierten Betrachtungen der eigenen Gedanken und Handlungen, immer wieder vom Autor in Regisseurfunktion hinterfragt, gelenkt und vorangetrieben. Als roter Faden dient die Geschichte von Toby und Erik im Umfeld ihrer Freunde und Bekannten, so dass sich die bewegte gesellschaftspolitische Situation in verschiedenen Generationen und sozialen Milieus spiegelt. 

Den komplexen Plot kristallisiert Philipp Stölzl sehr klar anhand vier Personen heraus. Als Toby erfolgreich sein neues Theaterstück mit Perspektive auf eine Broadway-Produktion publiziert, will er Erik, der ihn in seiner luxuriösen Wohnung aufgenommen hat, plötzlich nicht mehr heiraten und seinen Ruhm lieber auf Partys ausleben. Erik wirft ihn aus der Wohnung und heiratet etwas später den Multimillionär Hendrik. Toby kompensiert seine Einsamkeit mit Leo, einem Strichjungen, der schnell wieder seine eigenen Wege geht. Unter der Bedingung, dass die Beziehung ohne Sex bleibt, beginnt die Ehe zwischen Erik und Hendrik bald zu kriseln und scheitert, als Erik den HIV-infizierten Leo in Hendriks Elternhaus unterbringt und sich um ihn kümmern will. Es ist genau das Haus, das Hendriks verstorbener Partner, den Erik kannte und schätzte, Erik vermacht hatte. Doch Hendrik und seine beiden Söhne verbrannten dieses Testament. Jetzt überlässt Hendrik Erik das Haus und es wird wieder ein Ort der Geborgenheit und Genesung, der rote Ahorn davor ein  Symbol für „Das Vermächtnis“ eines kollektiven Gedächtnisses als Energiespender für das Wachsen eines immer stärkeren gesellschaftlichen Bewusstseins. 

Das Team des Residenztheaters spielt voller Begeisterung, die sich auf das Publikum überträgt. Jede Pointe, mag sie noch so flach sein, wird mit Gelächter rezipiert. Im Auf und Ab der Gefühle und Beziehungen entstehen dieselben Sehnsüchte und Konflikte wie in jeder Freundschaft und Ehe. Es geht um Vertrauen, Geborgenheit und Ehrlichkeit. Körperliche Anziehung und Sexualität bilden die Basis für tief empfundene Liebe. Man blickt voyeuristisch durch die stylisch umleuchtete, auf den Broadway anspielende Bühne in viele Wohnstile und Schlafzimmer mit cinematischer Atmosphäre und im Lauf der sieben Spielstunden bekommt Homosexualität den Stellenwert, den sie haben sollte, eine selbstverständliche, ganz normale Lebensform.

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©Residenztheater München, Sandra Then

Der durchwegs heitere Theaterabend mit subtilen parodistischen Anspielungen auf bürgerliche Verhaltungsweisen wie ein kitschiger Heiratsantrag auf Knien bohrt gerade über die HIV-Problematik in die Tiefe der gesellschaftlichen Wahrnehmung, final aus der Perspektive einer alten Frau, Mutter eines schwulen Sohnes, nochmals, leider etwas arg langatmig, erzählt. Wurden in den 1980er Jahren HIV-Infizierte als Todeskandidaten und Ansteckungsquelle oft selbst von der Community ausgeschlossen, schafft der Strichjunge Leo durch ärztliche Betreuung und menschliche Hilfsbereitschaft den Weg in eine bürgerliche Existenz. „Das Vermächtnis“ weitet sich zu einer wohltuend positiven, doch etwas pathetisch ausgewalzten Utopie über die Bedeutung von Zuwendung und sozialer Verantwortung. „Die Welt hat sich verändert, weil Menschen mutig waren“, so Toby, dem diese Fähigkeit vollkommen fehlt und der deshalb als einzigen Ausweg aus seiner verkorksten Situation den Selbstmord wählt.

Künstlerisches Team: Philipp Stölzl (Regie), Kathi Maurer (Kostüme), Ingo Ludwig Frenzel (Komposition), Gerrit Jurda (Licht), Franziska Harm (Mitarbeit Bühne), Ewald Palmetshofer (Dramaturgie)

Es spielen: Simon Zagermann, Nicola Mastroberadino, Thiemo Strutzenberger, Moritz von Treuenfels, Michael Goldberg, Oliver Stokowski, Vincent zur Linden, Florian Jahr, Vincent Glander, Noah Saavedra, Patrick Bimazubute, Nicole Heesters