©Berliner Ensemble, Foto: Jörg Brüggemann
Bedingt durch die Pandemie zogen sich die Probearbeiten über zwei Jahre hin. Das Ergebnis, 900 Romanseiten von anfänglich zehn Bühnenstunden auf drei gekürzt, ist frappierend, möglich durch viel Technik, denn die unterschiedlichsten Personen werden durch innere Monologe, Kommentierungen von außen, in menschlichen Interaktionen facettenreich gespiegelt und Feuchtwangers schwierig zu sprechender Texte für das Bühnenformat mundgerecht geglättet. Die Protagonisten sind teilweise historisch belegt, autobiografisch gefärbt, aber fiktional verändert und exemplarisch reduziert. So wird jede Figur sinnlich erlebbar. Jede zeigt Licht und Schatten, denkt und handelt konträr und offeriert gerade dadurch den Zwiespalt von Wollen und Können. Dabei erkennt der Zuschauer aus der Distanz genau die Wendepunkte, wo Schicksale sich ins Negative verwandeln, man sie durch eine andere Entscheidung ins Positive hätte lenken können. Gleichzeitig klafft der Generationenkonflikt auf. Obwohl sich die SchauspielerInnen gegenseitig nicht hören können, gelingt Luk Percevals Experiment. Das Spiel von inneren und äußeren Stimmen entwickelt eine mitreißende Kraft. Wie bei einem Orchester entsteht trotz der unterschiedlichen Tonfarben ein Klang der Hoffnung, der sich im zweiten Teil, ein Wartesaal mit vielen Stühlen unisono zu einer vernebelten Elegie verdüstert. Ein Stuhl nach dem anderen verschwindet. Nichts ist mehr da.
©Berliner Ensemble, Foto: Jörg Brüggemann
Unter den vielen Mitwirkenden und TänzerInnen, die im Hintergrund für Partystimmung sorgen, kristallisieren sich die Protagonisten im Scheinwerferlicht besonders heraus. Da ist zum einen dieser bayerische Dickschädel, der glaubt mit Politik mehr als mit der Kunst bewirken zu können und kein Jota nachgibt. Als seine Symphonie doch noch aufgeführt wird, fühlt er sich vom Dirigenten nicht genügend gewürdigt und beschimpft deren Qualität unter den herrschenden Verhältnissen. Oliver Kraushaar gibt Trautwein schauspielerisch und mit originalbayerischen Kraftausdrücken ein arg derbes Profil, das nur das eigene Ego kennt und der Frau ignorantisch die Bürde des Lebensunterhalts überlässt. Sie ist pragmatisch, kämpft für das Überleben, will, dass er bei der Kunst bleibt. Pauline Knof bringt dabei die Unterdrückung der Frau in dieser Generation berührend und gleichsam abstoßend zur Wirkung. Wer kann so eine überarbeitete, sich selbst bemitleidende Frau aushalten? Man versteht den Mann, der sich von seiner Assistentin (Luana Veltis) angezogen fühlt, den Sohn (Jonathan Kempf) der nach Russland will, in dem noch Visionen realisierbar sind und man antizipiert, wie folgenschwer sein kindlicher Idealismus werden könnte. Man versteht auch diese Frau, die nur noch den Ausweg im Selbstmord sieht, nachdem die Bürokratie die Verlängerung ihrer Arbeitserlaubnis verweigert. „Wir zerreden uns nur noch und einer schädigt den anderen“, bringt sie ihre Verzweiflung auf den Punkt.
Großartig, mit dem Eros einer Grand Dame spielt Constanze Becker Lea de Chassefiere, Jüdin und Frau des journalistischen Ober-Scharfmachers Erich Wiesener. Ihr kann kein Nazi widerstehen und sie weiß diese Karte auszuspielen, wobei sie ihre Selbstachtung verliert und vollkommen traumatisiert als heruntergekommene besoffene Geliebte untergeht.
©Berliner Ensemble, Jörg Brüggemann
Der gemeinsame Sohn Raul (Paul Zichner), dessen Vaterschaft Wiesener plötzlich in Frage stellt, um die eigene Haut vor den Nazis zu retten, schwört Rache. Plötzlich steht der raffiniert manipulierende Starjournalist, von Marc Oliver Schulze sehr heutig gezeichnet, vor einem Scherbenhaufen, genauso wie der Verleger der „Pariser Nachrichten“, der allzu kritische Kommentatoren entlässt, weil er, wie sich am Schluss herausstellt, mit den Deutschen kooperieren muss, um seine Tochter aus Berlin herausholen zu können.
Das Fazit ist erschreckend und verweist ohne konkrete Hinweise in der Inszenierung auf die derzeitige Lage. Politisches Handeln erweist sich im großen Getriebe der Staatsmacht und im Gegensatz zu Feuchtwangers Romanvorlage auch auf die Kunst wirkungslos. Nach wie vor ist politisches Handeln von persönlichen Vorteilen bestimmt. Wieder steht die Welt zwischen den Fronten westlichen Kapitalismus und östlicher Diktatur, dazwischen kämpfen die Migranten in ihrer Not ums Überleben.
Künstlerische Leitung: Luk Perceval (Regie), Annette Kurz (Bühne), Emmanuelle Bischoff (Mitarbeit Bühne), Ilse Vandenbussche (Kostüme), Rainer Süßmilch (Musik), Jannes Noorman (Sound Engineering), Ted Stoffer (Choreografie), Rainer Casper (Licht), Sibylle Baschung (Dramaturgie)
Es spielen: Oliver Kraushaar, Pauline Knof, Jonathan Kempf, Lili Epply, Peter Moltzen, Marc Oliver Schulze, Luana Velis, Constanze Becker, Paul Zichner, Paul Herwig, Gerrit Jansen, Martin Rentzsch,
Bewegungschor: Charlotte Brohmeyer, Bar Gonen, Giada Grieco, Ji Sun Hagen, Liadain Speranza Herriott, Valeriia Kuzmenko, Ilil Land-Boss, Aaron Lang, Anela Luzi, Aldo Spahiu, Madeleine Rose White, Alina Yeshchenko.