Berlin – Silvesterkonzert „Hoffnung und Utopie“ mit der Uraufführung von Ralf Hoyers „Prolog“ zu Beethovens Sinfonie Nr. 9 durch das Rundfunk-Sinfonieorchester Berlin im Konzerthaus

Konzert von Hoyens "Prolog" und Beethovens Sinfonie Nr. 9 im Konzerthaus Berlin

©Rundfunk-Sinfonieorchester Berlin, Foto: PMeisel

Magisch klingt Ralf Hoyers „Prolog“, der um Beethovens zahlreiche Fragezeichen kreist, dessen Text Kerstin Hensel mit Schillers und ihren eigenen Worten aktualisiert, indem sie ihn von den „Brüdern“ auf die „Schwestern“ weitet, den Ausschluss auf „das Gemeine“ einengt, durch „Raubgier“ und „Glaubensdunst“ die Götter hinterfragt.

Aus der Stille entwickelt sich im „Prolog“ aus einem Geräusch der Streicher ein langgezogener hauchfeiner Ton, der in einem wuchtigen Crescendo mit alternierenden Bläsern anschwillt und abrupt in einer Generalpause endet. Nach der Reprise beginnt das Vibraphon eine Melodie, die instrumental erweitert wird. Die Stimme kommt  meist als rezitativer Gesang dazu, mit Mezzosopranistin Karolina Gomez in den Höhen mit klarer Stärke selbst im Pianissimo mit beeindruckend langem Atem, in den Tiefen fehlt zuweilen das abgründige Pendant, was durchaus als Symbol des vergeblichen menschlichen Kampfes gegen den musikalischen Kosmos denkbar ist. Der Mensch strudelt im bedrohlichem Toninferno vielschichtigen Surrens, tiefer Tonwalzen, rhythmischen Klackens, das sich unter dem Dirigat von Vladimir Jurowski zu einem „Krieg der Töne“ formiert, der jegliche Vision zunichte macht.

Jetzt kann Beethovens „Sinfonie Nr. 9“ die Antworten geben. Sie sind nicht weniger energetisch, aber wesentlicher harmonischer. Unter der Leitung von Vladimir Jurowski wird das Werk in seiner fugalen Verflechtung in voller Wucht mit flotten Tempi, fulminanten Crescendi, präzisen Einsätzen, extrem klarer Tonalität der orchestralen Mehrstimmigkeit in beeindruckender Schönheit erlebbar, subtil die lyrischen Themen und dominant die martialischen. Vladimir Jurowski kristallisiert jedes Motiv und die konträren Tonartwechsel heraus, so dass die Innen- und Außenwelten von Beethovens Komposition plastisch werden. 

Konzert von Hoyens "Prolog" und Beethovens Sinfonie Nr. 9 im Konzerthaus Berlin

©Rundfunk-Sinfonieorchester Berlin, Foto: PMeisel

Im zweiten Satz steigert sich durch Oktavsprung, Generalpausen, blitzartige Trommelwirbel und Orchesterwucht in Reprise das Weltenchaos im Scherzo, das im Trio melodiösen Charakter bekommt. 

Den dritten ruhigen, kantabilen Satz dirigiert Natalia Ponomarchuk ganz bewusst sehr sanft und hingebungsvoll mit den Händen, wobei das Ineinanderfließen der langgezogenen Töne gut zur Wirkung kommt, das Orchester allerdings etwas von seiner kammermusikalischen Energie verliert. 

Erst im 4. Satz finden beide Seiten energetisch zusammen. Mit verblüffender Ähnlichkeit zu Jurowskis temperamentvoller Art zu dirigieren bringt Natalia Ponomarchuk die fulminante Kraft für das hymnisch-theatrale Finale ins Orchester zurück.

Konzert von Hoyens "Prolog" und Beethovens Sinfonie Nr. 9 im Konzerthaus Berlin

©Rundfunk-Sinfonieorchester Berlin, Foto: PMeisel

Aus Dissonanzen und den nacheinander einsetzenden Instrumentalgruppen baut sich das Freude-Motiv in immer satterer Tonalität bis zur feierlichen Pathetik im Dialog zwischen Orchester, dem Solistenquartett und dem mächtigen Rundfunkchor heraus. Orchester und Männerchor lassen immer wieder Angst und Schrecken aufleuchten, doch Schillers vertonte „Freude schöner Götterfunken“ setzt sich als hoffnungsfrohe Vision durch. Ein wahrhaft freudvoller Auftakt ins neue Jahr.

Es singen: Johanna Wallroth (Sopran), Karolina Gumos (Mezzo/Alt) Jeremy Auffänden (Tenor), Markus Marquardt (Bass), Rundfunkchor Berlin unter der Leitung von Benjamin Goodson