Berlin – „Ku’damm 56“ – die Serie jetzt als Musicaluraufführung im Theater des Westens

Musicalkritik "Ku'damm 56" präsentiert von www.schabel-kultur-blog.de

©Jörn Hartmann, Dominic Ernst

Die Familie Schöllack kommt auch in Musicalversion bestens als Satire der 1950er Jahre an. Das Wirtschaftswunder macht vieles möglich, aber die Erziehung ist nach wie vor spießig und scheinheilig. „Was wäre die Frau ohne Mann, wenn sie sich nicht führen ließe?“ Wichtig ist, dass die Außenwirkung stimmt. Status und Geld sind wichtiger als Herzensregungen. Die drei Fräuleins werden auf ihre Rolle als Ehefrau gedrillt und die Tanzschule „Galant“ bleibt elegant. Ehrlich ist Frau Schöllack nicht, wie sich im Verlaufe des Abends herausstellt. 

In fetzigen, Songs, mitunter operettenhaft, in Foxtrott, Rumba-und Rock-n-Roll-Rhythmen der exzellenten Live-Band, spiegeln sich die unterschiedlichen Generationen und Lebensentwürfe. „Wer Rumba tanzen kann, weiß auch, dass er das andere kann“. 

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©Jörn Hartmann, Dominic Ernst

Die Bühne mutiert zum maroden Ballsaal mit drei Ebenen und verspiegelter Decke, die sich nach unten schiebt, wenn Rock’n’Roll-Kellermilieu angesagt ist, ein herrliches Ambiente für rasante Choreografien und nahtlose Szenenwechsel für das Liebesleben der vier Frauen.

Die Mutter hatte ihrem Mann Monika als Kuckuckskind enttarnt. Aber nicht nur deshalb kam der Vater nach dem Krieg nicht mehr zurück. Er wollte nicht eine Tanzschule weiter betreiben, die Juden genommen worden war. „Wir sind nicht Opfer, sondern Täter“, bekennt er. Die Mutter ignoriert die Vergangenheit. Sie will um jeden Preis ihr Renommee wahren. Schwiegersöhne von Ex-Nazis sind kein Problem. 

Eva zieht den Status Frau Professor der Liebe zu einem Maurer vor. Helga verlässt ihren erfolgreichen Rechtsanwalt nicht, als er sich zu seiner Homosexualität bekennt. Was wäre sie ohne ihn? Was würden die Leute sagen? Die Songtexte bringen die Wunden, aber noch mehr den Optimismus dieser Zeit auf den Punkt. Satirische Passagen greifen, weil viele Klischees und Vorurteile immer noch gelten.

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©Jörn Hartmann, Dominic Ernst

Die Knüller sind die Songs. „Liebes Universum“, „Mutter Brause“, vor allem „Berlin Berlin“ als Hommage an die Stadt der Freiheit, ein zweites Mal als Zugabe bekommen Ohrwurmqualität und stehen leitmotivisch für einzelne Figuren, die ganz unüblich zu den meisten sehr simplen schablonierten Musicals eine relativ komplexe Story entwickeln, die auf dem Zeitgeist der 1950er Jahre beruht und die konkreten gesellschaftspolitischen Themen mit ein bringt. 

Mittelpunkt des Geschehens wird zunehmend Monika, die sich vom hässlichen Entlein zur flotten Emanze entwickelt. Helga degradiert zur Parodie der männerdevoten Ehefrau als Auslaufmodell. Eva präsentiert den immer noch sehr aktuellen Klischees Status für die Liebe. Die Mutter hat alle Phasen durchlebt. Von Männern hat sie einfach die Nase voll.

Die Welt der Männer ist vielfältiger. Sie degradieren zu aufgeplusterten Chefs, Übervätern mit braunen Vergangenheiten und komplexbehafteten Söhnen. Nur der Maurer ist naiv lieb und Freddy, ein schmissiger Musiker, ein Sunnyboy, obwohl und gerade weil ihn seine tätowierte KZ-Nummer noch immer an Hitler erinnert. Freddy will das Leben und die Frauen genießen, sich nicht binden. Monika schlägt er eine Abtreibung vor und möchte dann doch ganz gern eine Familie gründen. Monika ist schlau genug sich weder für das eine noch das andere zu entscheiden. Sie respektiert die Menschen, wie sie sind, und vertraut ihrer Intuition.

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©Jörn Hartmann, Dominic Ernst

Ihre Energie bekommt sie vom Tanzen, der Musik, vom Sound des neuen Zeitgeists. Trotz der stark exaltierten Optik zwischen Rotschopf und Brillenschlange und arg schriller Stimme singt sich Nele Neugebauer in die Herzen der Zuschauer. Gesanglich überstrahlt von Katja Uhlig als Catharina Schöllack, die auch Operette kann.

Dieses Musical lässt Klischees von Einst im Heute, die Trägheit von Veränderungen parodistisch aufleuchten und macht trotzdem Mut, dass sich die Zeiten ändern. Die Kostüme hätten diesbezüglich schon etwas bunter sein können, zumal das Grau der Petticoats ohnehin verdeutlicht, dass unter der Oberfläche die düsteren Zeiten immer wieder hervorlugen. 

Künstlerische Team: Annette Hess (Drehbuch, Libretto, Songtexte), Christoph Drewitz (Regie), Peter Plate, Ulf Leo Sommer von „Rosenstolz“ (Musik), Jonathan Huor (Choreograf)

In den Hauptrollen am 6. Januar: Monika (Nele Neugebauer), Katja Uhlig (Catarina Schöllack MutterI, Isabel Waltsgott (Eva) Tamara Pascual (Helga), Niko Went (Freddy)