©Berliner Ensemble
Genau dieser Frage geht Karen Breece, Autorin und Regisseurin, in ihrem neuen Stück „Mütter und Söhne“ als Uraufführung im Berliner Ensemble nach. Aus Gesprächen mit Aussteigern aus der Neonazi-Szene und deren Mütter und Väter, Organisationen, die Aussteigern kümmern, hat sie zusammen mit dem Schauspielteam aus dem Dokumentationsmaterial einen Gesamttext aus reflektierenden Monologen und aggressiven Dialogen gepuzzelt, durch ständigen Perspektivwechsel in seinen Bann zieht und durch die Brutalität rechtspopulärer Aussagen betroffen macht.
Wieso geraten Kinder in den Bann des Neonazis? Was kann man tun? Wie sind eigentlich die Ziele der neuen Rechten? Es ist kaum zu fassen, dass die Abschaffung der Demokratie und der Verfassung, Antisemitismus, Wiedereinführung der Gaskammern aggressiv im familiären Kontext hingeschleudert, als gesellschaftliche Vision von den Söhnen hochstilisiert werden. Ein Grund ist sicher die Unkenntnis des Grundgesetzes, selbst zwei Zuschauer müssen passen, direkt aus dem Spiel heraus befragt.
Umso weniger wissen Kinder und Jugendliche. Sie sind fasziniert, weil ihnen die Neo-Nazis Struktur bieten, die sie zu Hause so haben, weil sie durch dieses System eine Bedeutung bekommen, die ihnen zu Hause versagt bleibt. Das offene Bekenntnis zu Antisemitismus, Abschaffung der Grundrechte und des Rechtsstaats, Wiedereinführung der Gaskammern trifft ins Mark, mehr noch die Morddrohungen „Wir nicht für uns ist, ist gegen uns.“ „Wir vergasen unsere Mütter“.
©Berliner Ensemble
Wenn Kinder aus dem Ruder laufen, sind immer die Mütter schuld. Sie erziehen die Kinder, haben nicht verhindert, was sie nicht verhindern konnten.
Sie werden genauso von der Gesellschaft stigmatisiert wie ihre Söhne und suchen verzweifelt danach, was sie falsch gemacht haben.
Bewusst lässt Karen Breece Mütter und Söhne zweier ganz unterschiedlich sozialer Schichten zu Wort kommen. Drei Söhne neben Berufstätigkeit und persönlicher Weiterbildung alleine groß zu ziehen ist kein Honigschlecken. „Der Junge hat Orientierung gesucht“, bekennt die Mutter, sie „zerputzt“ seine Nazitasse, wirft die Scherben weg,„will keine braune Nazischeiße“ im Haus haben, aber trotz aller Streitereien, familiärer und gesellschaftlicher Ausgrenzungen steht sie zu ihrem Sohn. „Mein Sohn ist ein Nazi. Ich liebe ihn trotzdem.“ Sie hat die Tür nie zugemacht.
Die andere Mutter hat sechs Söhne als Hausfrau in bürgerlichen Verhältnissen groß gezogen. Trotz äußerlich anderen Milieus geraten die Söhne in die Manipulationsstrategien der Rechten.
Die Gründe sind ähnlich, Minderwertigkeitsgefühle, Frustrationen,
Orientierungssuche, Geltungssucht, genauso die Nazi-Sozialisierung. Aus der Folkgitarre in fröhlicher Familienrunde wird der hämmernde Beat rechtsradikaler Parolen über Megaphone. Eine Sympathisantin dokumentiert die neuen Helden auf Youtube. Dabei mutiert das etwas unterbelichtete, plauderfreudige Allerwelts-Girly (Laura Balzer) zum rechtspopulistischem Sprachrohr säuberlich getrennter männlicher und weiblicher Rollenbilder, der Mann als Jäger und Beschützer und die Frau als Bewahrerin Heimchen am Herd.
Aus den Erinnerungen der Mütter leuchten bruchstückhaft die Exzesse in den Elternhäusern auf. Mit verschränkten Unterarmen, die nur leicht nach oben zucken, drängt der Sohn die Mutter in Todesängste. „Vergasen sollte man sie!“, eine der stärksten Szenen.
Im völliger Dunkelheit werden die Neonazi-Parolen noch eindringlicher. Der Stuhlkreis weicht einer Frontalaufstellung, Symbol einer Perspektive, die heißt Aussteigen durch die Einsicht, dass sich auch hier die Kleinen für die Ideologie abrackern und die Großen an der Macht sind. Sicher ist das ein arg rosaroter Schluss, aber Theater darf ja auch Türen öffnen.
Sehr authentisch gespielt von Laura Blazer, Nico Holonics, Bettina Hoppe, Corinna Kirchhoff und Oliver Kraushaar.
Epilog
Und da sitzt nicht nur einer immer Publikum, breitbeinig feist in testosterongesteuerter Haltung und lacht genussvoll, ganz voll innerer Überzeugung über die Neonazi-Parodie der deutschen Bubis als Bonobos-Äffchen, mokiert sich über das Stück, was das überhaupt soll, und spiegelt einmal mehr, was auf der Bühne kaum zu fassen ist, in natura.