Berlin –  Immigrationsstück „Amir“ am Berliner Ensemble 

Theaterkritik "Amir" präsentiert von www.schabel-kultur-blog.de

© JR Berliner Ensemble

Amir fragt sich, was das für ein Gesetz ist, das solche Urteile produziert. In einem spannenden Schlagabtausch  fokussiert Regisseurin Nicole Oder  auf Amirs Vergangenheit und Zukunft, gleichzeitig auf  die beiden Brüder und die Schwester.

Knapp zehn Jahre inszeniert Nicole Oder am Heimathafen Neukölln Integrationsstücke. Mario Salazars Drama „Amir, vom Warten auf die Freiheit“, vom Berliner Ensemble in Auftrag gegeben,  dient nur als Motivvorlage. Die Dialoge wurden vom Ensemble während der Proben selbst erarbeitet. Das Ergebnis ist ein packendes Stück ganz nah an der Realität Neuköllns, seinem Kiez, wie Amir es formuliert, wo er sich auskennt.

Salazars Stück „Amir vom Warten auf die Freiheit bekommen Besucher auf Wunsch an der Theaterkasse kostenfrei. Letztendlich ist di medial diskutierte Frage, warum man das in Auftrag gegebene Autorenstück statt in der Originalfassung als weiterentwickeltes Regietheater inszeniert, sekundär.

Für den Zuschauer  zählt zunächst allein die Authentizität der Inszenierung. Die ist bei „Amir“ extrem spürbar. Regisseurin Nicole  Oder setzt auf die Polarität von Amtsdeutsch und Arabisch-Slang,  aggressiver Bewegung und Ruhe,  provokantem Hiphop und lyrischer Ballettmusik, Techno-Beats und Stille, Die Boxszenen fungieren als Metaphern für den Überlebenskampf, der Rap als Resümee  ähnlich epischen Monologen.

Die Geschichte, eine von vielen, erzählt aus  der Perspektive eines Betroffenen ganz unten in der sozialen Abstufung, wo die Welt schwarz und rot ist und aus dem Blickwinkel seiner Geschwister kontrastiert mit dem deutschen Grundgesetz, spannend zusammengepuzzelt aus Situationsszenen, Rückblenden, Monologen, Hiphop-Performances zwischen drehenden Mauern.  Burak Yigit spielt Amir zwischen suchender Naivität und autoaggressiver Verzweiflung mit berührender Empathie.  Der Vater ist gestorben, die Mutter krank. Der ältere. kriminelle Bruder (Tamer Arslan) schafft den Einstieg  in eine schwarze Hilfsarbeiterexistenz, um seine  Familiengründungsvisionen zu realisieren, die allerdings auf dieser Einkommensbasis nie wird funktionieren können. Der kleiner Bruder, (Elwin Chalabianlou) könnte über die Schule erfolgreich werden, wären da nicht die sozialen Mauern, die er in seinen Hiphop-Performances treffsicher wie einst Brecht in seinen  Songs  ins Bewusstsein rückt.  „Ich kann alles werden, nichts kann ich werden, weil ihr mich sehen wollt, wo ich bin.“

Allein die  Schwester (Laura Balzer), das Kopftuch sportlich mit Nike-Zeichen und unter dem weißen Sportdress, schwarze Vollbekleidung (Kostüme Vera Schindler), wird zur Aufstiegs-Figur.

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© JR Berliner Ensemble

Zielstrebig erboxt sie sich über ihr sportliches Engagement  die deutsche Staatsangehörigkeit, trotz Verletzung, die die Integration in der Zukunft in Frage stellt, bleibt sie Hoffnungsträgerin.

Amir vergeigt seine Chance, als sich ein blondes deutsches Mädchen Nora Quest) in ihn verliebt. Mauern scheinen zu fallen, bei einem gemeinsamen  „Schwanensee“-Besuch im  Deutschen Theater, doch die Freiheit  und Integration durch die Liebe, von Livezeichnerin Bente Theuvsen zwischen Wasser und Vögeln poetisch visualisiert, schwärzt sich durch Amirs aggressives Verhalten zum schwarzen Tunnel mit nur kleinem Lichtblick in der Ferne. Zeichnerisch bauen sich schon die  Gefängnismauern auf, hinter denen Amir dann wegen Gewaltdelikten einsitzt. Völlig allein gelassen, nicht einmal die Familie kommt noch zu Besuch,  hört er sogar mit seinen Fitness-Liegestützen auf, zerstört durch Nichtstun.