Berlin – „Fraternité, Conte fantastique“, eine fantastische Geschichte über humanitäre Hilfe beim FIND 2022, dem Festival Internationale Neue Dramatik, in der Schaubühne 

Theaterkritik "Fraternité" präsentiert von www.schabel-kultur-blog.de

©Christophe Raynaud de Lage, Festival d’Avignon

Das „Zentrum für Trost und Sorge“ mutiert zu einer Insel im All, umgeben von kosmischen Videos. Die Botschaften der Hinterbliebenen ins All in der Hoffnung, dass sie irgendwo wahrgenommen werden,  fügen sich zu biografischen Lebensbeziehungen, größtenteils geprägt von intensiver Zuneigung und tiefster Trauer. 

In Englisch, Französisch, Arabisch, Vietnamesisch gesprochen entwickelt sich ein multikulturelles babylonisches Sprachgewirr, dessen Klang poetisch die Botschaften der Humanität in Redensarten aufleuchten lässt und immer wieder durch den Gesang eines Countertenors eine beseelte Innigkeit gewinnt. „Leben ohne Liebe ist kein Leben.“ Und fehlt der Partner plötzlich, bricht die Welt zusammen ist die Botschaft dieses Stücks ausgehend von der Charta der Menschenrechte, dass jeder Mensch das Recht hat bei den Menschen zu leben, die er liebt. Doch selbst eine zweite und dritte Sonnenfinsternis, sehr atmosphärisch im Zwielicht mit Blick auf ein hochgelegenes Fenster Richtung Himmel inszeniert, bringt die vermissten Menschen nicht zurück. 125 Jahre sind inzwischen vergangen. „Nichts wird uns trösten“, denn das bisherige Leben kehrt nicht mehr zurück.

Vielmehr stellt die arg taffe US-amerikanische Forscherin fest, dass sogar das Universum sich umso langsamer bewegt, je größer der Schmerz und geringer die Herzsequenz ist, die über den leise pulsierenden Hintergrundsound und die Fieberkurven via Videoprojektionen erlebbar wird. Erinnerungen sollen deshalb in einem Memo-Speicher, einem symbolischen Herzen abgelegt werden, damit der Geist wieder frei wird für mögliche Beziehungen mit den Menschen, die noch da sind.

Mit Herzblut und authentischer Dynamik bringen die Mitwirkenden ihre Geschichten und Gedanken mit ein.

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Christophe Raynaud de Lage / Festival d’Avignon

Sie agieren, streiten und harmonisieren nach ihrem inneren Rhythmus und so entwickelt sich ein lebensnahes Szenario, in dem man sich schnell wiederfindet. Nicht zuletzt führen parodistische Randbemerkungen bezüglich FBI und die schrille Forscherin als Symbol US-amerikanischer Dominanz mitten in den Alltag unserer Gegenwart, wobei der zweite Teil nach der Pause nicht mehr die dramaturgische Spannungskraft wie der erste hat und die Handlung zu sehr in Aktionismus versandet.

„Fraternité“ ist das Mittelstück einer Trilogie, deren erster Teil der Film „Les Engloutis“ (Die Verschluckten) mit Langzeitinhaftierten in Arles ist. Der dritte Teil mit dem Arbeitstitel „L’ Enfance, la Nuit“ (Die Kindheit, die Nacht) ist mit SchauspielerInnen der Schaubühne für Herbst 2022 geplant. Man darf gespannt sein.