©GerhardWHSChmidt
Die Bewegung an sich interessiert Georg Reischl, das Ausloten tänzerischer Expression in der Fusion der Tanzstile. Dabei bleibt Georg Reischl gar nicht so abstrakt, wie sich das anhört. „Juke Box Heroes“ wird über die Musiktitel eine kess parodistische Spiegelung männlichen und weiblichen Imponiergehabes.
Raffiniert gelingt durch die Zweiteilung des Abends ein kulturhistorischer Bogen, in dem gestische und tänzerische Leitmotive signalisieren, wie extrovertiertes Sich-zur-Schau-stellen, Flirt und Annäherungen bis zum orgastischen Höhepunkt variieren und sich doch ähneln. Die Hand am Hinterkopf wie ein gezackter Kamm gockeln die Männer, animieren die Frauen mit spanischer Grandezza. Choreographie und Kostüme konterkarieren wiederum diese Rollenklischees, weil die Posen, von den fünf Tänzern und vier Tänzerinnen im ersten Teil nur in Kleidern, im zweiten in Anzügen getanzt, Genderabgrenzungen auflösen. Allerdings werden sie durch die mimische Expression immer wieder präsent, wodurch der Abend an ambivalenter Dichte gewinnt.
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Die Konzeption der Jukebox wird schon über das Bühnenbild suggeriert. Mit abgehängten Seiten, weißem Boden und Hintergrund entsteht ein klinisch klarer Raum. Nichts lenkt vom Tanz, von der Musik ab. Nur Lichteffekte (Martin Stevens) und Kostüme (Min Li) intensivieren die tänzerische Bewegungsenergien.
Vom ersten Augenblick an wird durch die großartigen Koloraturarien des Countertenors Philippe Jaroussky orgiastische Euphorie hörbar und durch die schwirrende Vielfalt der Pas des deux sichtbar. Mit barocker Sinnenlust lässt Georg Reischl das tanzen, was die Gesellschaft einst nur singen ließ und in strenge historische Tänze knebelte, orgiastische Freuden inklusive ekstatischen Kampfschreien zwischendurch. In ironischer Anlehnung an opulente Reifröcke und Dekolletés kreiert Min Li dazu Kleider in transparenten Schwarz-, Grau-, Blautönen, geschlitzt, gelöchert, plissiert, die die Tanzbewegungen schwungvoll intensivieren und Paare zuordnen. Alles fließt energisch, wird durch Schattenspiel-Effekte und retardiertes Tempo für kurze Augenblicke zur Märchenbox, in Reih und Glied wie ein Haute-Couture-Défilé an der Rampe zur Karaoke-Hommage an Lebenslust und Sinnlichkeit, wobei einige Tänzer sogar live mitsingen. Nach hingebungsvollen Drehungen, innigen Handfassungen, die Pas des deux synchron getanzt, dann zeitversetzt verschwinden die Tänzerinnen und Tänzer paarweise mit gleichem Ziel, treffsicher in grell pinker Lichtstimmung angedeutet und kombiniert mit dem Song „Somewhere“ eine witzig fröhliche Überleitung zum zweiten Teil der Jukebox nach der Pause ins Irgendwo der Diskowelt.
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In bunten, pastellfarbenen Anzügen schwadronieren nun die Tänzer wie auf dem Laufsteg und signalisieren „Holding up for a Hero“. Joggend, hüpfend, fit getrimmt, perfekt gestylt, mitunter wie reanimierte Puppen bleiben die Gesten selbstbewusster Allüren ähnlich, aufgepeppt mit viel Schwung aus Hüfte und Po, flotten Schrittkombinationen, Hip-Hop-Akrobatik, raffinierten Rückwärtsdrehungen und -verwringungen, bewusst trivialisiert durch Spotlight zur Discoshow, inklusive Goldkonfetti zum Abschluss. Das ist nicht nur pittoresk und atmosphärisch, sondern entwickelt im Vergleich zum ersten Teil auch eine gekonnte Kultursatire.