Regensburg – „Summertime!“ im Stadttheater Regensburg

Tanz "Summertime" präsentiert von www.schabel-kultur-blog.de

©Theater Regensburg, Christina Iberl

Georg Reischl und Alessio Burani entwickelten nach der Musik „Recomposed by Max Richter: Vivaldi The Four Seasons“ kombiniert mit George Gershwins Welthit „Summertime“ in drei unterschiedlichen Interpretationen eine faszinierende Gesamtchoreografie über das letzte Jahr der Pandemie.

Dazu kreierte Ausstatter Michael Lindner ein atmosphärisch weites Wolkenszenarium mit nebulösen Dämonengesichtern, in dem sich Blau Raum schafft, das sich durch die Dämmerung und Beleuchtungseffekte vom eiskalten Winterblau in ein sommerliches Azur aufhellt. Die Kostüme, graue Alltagshosen, Shirts und Hemden, signalisieren bei Positionswechseln durch fröhlich subtile Farbakzente zunehmende Lebensfreude. Das Leben wird wieder bunter mit paarweise pinken, hellblauen, grasgrünen Farbtupfern und entsprechen wandelt sich die Körpersprache. 

In Reischls Choreografie von Herbst und Winter sind die Hände der rote Leitfaden. Sie bleiben demonstrativ in den Hosentaschen. Rücken an Rücken schieben sich die Tanzpaare über die Bühne. Sie umkreisen sich, wagen Balzverhalten mit höfischen Tanzschritten und kleinen Hüpfern, dann mit experimentelleren Bewegungen bis zu bizarren Kopfständen. Die Hände zieht es ihnen regelrecht aus den Hosentaschen. Die Arme beginnen zu segeln. Zehn Zentimeter die Hände trotz begehrender Annäherung voneinander getrennt entstehen magische Augenblicke aufgeladener Emotionalität. Nach kurzen Momenten der Berührung zucken die Hände zurück und verschwinden immer wieder in den Hosentaschen. Jeder Tänzer, jede Tänzerin entwickelt rhythmisiert versetzt eine eigene Körpersprache, wobei sich durch Soli, Paare, durch das gesamte Ensemble im Wechsel von Ruhe und Bewegung energetische Spannungen und Balancen aufbauen, was die Choreografie so attraktiv und kurzweilig macht. 

Nahtlos geht Reischls Winter in Buranis Frühling über, erkennbar an den intensiven Tanzbewegungen auf dem Boden und der verstärkten Synchronie der Bewegungen.

Buranis präziser, geerdeter Choreografiestil passt bestens zu den „hellen“ Jahreszeiten des Werdens und Reifens. Er lässt seine Tänzer und Tänzerinnen auf dem Boden wie Samen in der Erde erwachen und in einem dynamischen Hoch und Tief wachsen. Hier zeigt das Ensemble eine faszinierend akrobatische Beweglichkeit mit Radschlag aus dem Kopfstand, raffinierten Verschlingungen, Drehungen, Aushebelungen über die Hüfte, zuweilen so schnell und überraschend, dass sie sich jeder Beschreibung entziehen und an den strahlenden Gesichtern über das Gelingen der Schwierigkeitsgrad erkennbar wird.

Tanz "Summertime" präsentiert von www.schabel-kultur-blog.de

©Theater Regensburg, Christine Iberl

Nach der individuellen Ausrichtung von Herbst und Winter genießt man im Frühling und Sommer die synchronen Tanzsequenzen, die konzeptionell wunderbar die Wachstumsprozesse in der Natur und in der Dynamik der Musik zwischen Allegro und Adagio unterstreichen. Max Richters raffinierte Komposition mit höchst temperamentvollen Vivaldi-Zitaten und den dazwischen geschalteten Shadows ermöglicht gleichzeitig, lichttechnisch unterstützt, dramaturgisch effektvolle Szenen zwischen seelisch aufblühender Natürlichkeit und albtraumhaften Belastungen. Die drei „Summertime“-Versionen mit der legendären Interpretation von Ella Fitzgerald und Louis Armstrong als Höhepunkt, steigern und verdichten den immer stärker werdenden Lebensoptimismus durch weitgreifende vibrierende Körpersprache, womit „Summertime!“  zu einem weiteren Meilenstein in der Tanzgeschichte des Regensburger Stadttheaters avanciert. Nicht nur der Intendant Jens Neundorff von Enzberg war von diesem „ungewöhnlich poetischen Abend“ begeistert, auch das Publikum applaudierte ausdauernd während der Premierenlaudatio auf der Bühne.