München –  „Duato/Skeels/Eyal“ – moderner Tanz in faszinierenden Facetten

Ballettkritik "Duato/Skells/Eyal" in der Staatsoper München präsentiert von www.schabel-kultur-blog.de

„White Darkness“, Duato,©Bayerisches Staatsballett, Nicholas Mackay

In seiner charismatischen Choreografie „White Darkness“ verarbeitete der spanische Kultchoreograf Nacho Duato 2001 den Drogentod seiner Schwester. Wie in vielen seiner Werke steht auch hier das Duo im Mittelpunkt über die erotische Spannung hinaus als Spiegelung menschlicher Beziehungen zwischen Geborgenheit und Einengung, Kampf und Flucht. Ohne Unterbrechung, ohne Posing gleiten die Pas de deux von fünf Paaren fließend dahin, punktgenau zu den  Akzenten, der Rhythmik und Dynamik von Karl Jenkins Musik. Töne verwandeln sich in endorphinisierte Sprünge, weite Spreizbewegungen, hingebungsvolle Verschlingungen und gleichzeitig resolutes Distanzieren, simultan narzisstisch gespiegelt, nacheinander mit parodistischer Wirkung und in immer neuen geometrischen Konstellationen voll tänzerischer Rasanz. Der Stoff für Bewusstseinserweiterung flutet über Lichtsäulen golden wie „Manna“ vom Himmel zu Boden. Von Hand zu Hand rieselnd weitergegeben wird die Abhängigkeit des Mädchens vom Dealer deutlich, und wenn Jakob Feyferlik Madison Young so schnell durch die Luft wirbelt, dass ihr Körper zur Lichtschwingung mutiert, scheint Entgrenzung erlebbar zu werden. Der Preis ist hoch. Unter einem großen Lichtkegel bricht das Mädchen unter der Last des herabrieselnden Stoffes zusammen.  

Dunkelheit folgt, durchpulst von sphärisches Raunen und sonore Tonbahnen. Antoine Seychals apokalyptischer Sciene-Fiction-Sound schafft das akustische Ambiente für die dystope Genesis des kanadischen Choreografen Andrew Skeels. Mit der Uraufführung von „Chasm“ (Riss), ein Auftragswerk für die Bayerische Staatsoper, begeistert er das Publikum, das er in ein anderes Universum, in eine ferne Welt der Zukunft versetzt, in der Momente der Ruhe und Kontemplation mit überaus wuchtig spannenden Phasen kontrastieren. In einer Höhle vegetieren die Menschen in grau-lehmiger Skelettoptik dahin. Der Grund bleibt verborgen, eine Klimakatastrophe, wie im Programmheft erwähnt, erleichtert den intellektuellen Zugang, aber die atmosphärische Emotionalität der Choreografie ist selbsterklärend. Die Notlage der Menschen, im Gegenlicht eine bizarre Masse, wird durch schleppende Bewegungen spürbar. Einzelne versuchen auszubrechen, ohne Erfolg. Kaum aufgerichtet fallen sie wieder zu Boden. Die Masse Mensch darbt weiter. Erst umringt von einem Kreis einer verflochtenen Menschenkette als Metapher für das gemeinsame Ritual gewinnt einer an Größe und Volumen.

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©Bayerisches Staatsballett, Nicholas Mackay

Seine  Energie überträgt sich auf die anderen, sprengt regelrecht die Höhle, so dass sie sich durch einen Riss erhellt. Doch statt Erlösung folgt eine radikale Endlösung. Das geht unter die Haut und ist zweifellos der Höhepunkt des Abends.

Diese atmosphärische Wucht kann selbst die israelische Choreografin Eyal nicht mehr toppen, zumal sie in „Autodance“ (2018) zur elektronischen Musik Ori Lichtiks weniger ihre inzwischen legendär rasante Fußtechnik in den Mittelpunkt rückt als breit ausladende Schreit- und Armbewegungen. Nicht ein Pulk von TänzerInnen lädt die Bühne energetisch auf, sondern eine einzige Tänzerin in der Eyal-typischen Nudeoptik zieht ihre Kreise, in denen sich immer mehr TänzerInnen einklinken, um dem Klang und Tempo des perkussiven Sounds in immer ekstatischeren Formationen zu folgen, spirituell und archaisch wie bei indigenen Tanzritualen, zugleich abgehoben wie beim Waven einer Technoparty, womit Eyal den Tanz über die Bewegungsenergie in seiner endorphinisierenden Entgrenzung erlebbar macht.  

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©Bayerisches Staatsballett, Nicholas Mackay

Die Ballettfestwoche 2024 dauert noch bis 20. April 2024.