Berliner Staatsballett „Celis/Eyal“

Doch die bewusste Langeweile, die tanzende Menschen unserer wie robotermäßige Schaufensterpuppen vorführt, wandelt sich schnell in magische Bewegungsrhythmik für sieben Tänzer und sechs Tänzerinnen allesamt in unisex Nacktoptik, nebelumhüllt. 

Der Tanzstil bleibt breakdancemäßig ruckartig, auf nervöses Zucken, auf wenige Bewegungsmuster reduziert, doch von magischer Ritualität, spannend und wuchtig im Drive der Musik. Die Tänzer formen sich zur Gruppe, werden zu Teilen eines Netzwerks, einer ragt heraus. Der groß gewachsene Tänzer Daniel Norgren-Jensen dominiert immer wieder die Gruppe, gibt die Tanzsprache vor, verkettet die Gruppe. Keiner kann ausbrechen.  Mächtig bewegt sich die Gruppe, in kleinen Schritten nach vorne, geballte Energie. Als in den Rhythmusschwingungen ein Wort hörbar wird, erschließt sich der Sinn schlagartig. „Internet“ raunt es passagenweise zwischen den Beats. Es hat die Menschen im Griff. Die flatternden Hände parodieren die chattende Manipulation, mit gestreckten Arm und Finger wird die Richtung vorgegeben. Der Nebel bündelt sich in Lichtspots, die Gruppe das letzte Wort.

 

©Jubal Battisti

Unter dem kollektiven Druck hat das Individuum keine Chance. Doch dieses Leben ist „Half Life“. Die andere Hälfte zeigt sich visionär in einem Zurück zu den Ursprüngen in choreographisch flächigen Positionen mit klassischer Beinarbeit, die die poetische Leichtigkeit in der Überwindung der Schwerkraft aufblitzen lassen. Allein der neue Zeitgeist verengt, schiebt die Menschen zur uniformen, dressierten Masse zusammen.

2009 choreografierte  Sharon Eyal zusammen mit Gai Berhar „Half Life“ für das Königlich Schwedische Ballett Stockholm. Ihr ritualisierter Tanzstil ist so mitreißend, dass die davor gezeigte Tanzperformance von Stijn Celis „Your Passion Is Pure Joy to Me“ für vier Tänzer und drei Tänzerinnen, ebenfalls 2009 uraufgeführt, sofort verblasst.

Doch die bewusste Langeweile, die tanzende Menschen unserer wie robotermäßige Schaufensterpuppen vorführt, wandelt sich schnell in magische Bewegungsrhythmik für sieben Tänzer und sechs Tänzerinnen allesamt in unisex Nacktoptik, nebelumhüllt. 

©Jubal Battisti

Das inzwischen schon sehr verbrauchte  Tanzmotiv von Sich-Finden, Betrügen, Wiederfinden und Verlassen entwickelt durch seine Stilmittel weder Spannung noch sinnliches Erleben. In Alltagskleidung, ohne Lichtatmosphäre, es soll ja auch Alltag sein, vier Musikstile, Nick Cave, Pierre Boulez, Gonzalo Rubalcaba, Krzysztof Penderecki, mehr oder weniger nur aneinander gereiht, beginnen die Tanzmuster schnell zu langweilen. Kommen, Laufen, abruptes Stoppen, Fallen schwingende Beine, rotierende Arme, extreme Diagonalbewegungen  im Wechsel von dynamischen Soli und alternierende  Pas des Deux, in den 80er Jahren en vogue, können zumindest in dieser Choreographie trotz effekthaschenden Drehungen aus der Akrobatik oder ganz alltäglichen Schrittdrehungen, wobei die Tänzerin wie ein Kind den Tänzer umklammert, nicht mehr begeistern. Wie die abstrakt gemalten Bühnenbilder, auf halber Höhe wieder hochgefahren, einzuordnen sind, bleibt offen.

Mit  „Half Life“ setzt der neue Intendant Johannes Öhmann, im Hintergrund mit Sascha Waltz die Segel Richtung innovativen Tanz. Dass das Berliner Staatsballett derartige Choreographien tanzen können, ist dem Vorgänger Nachu Duato zu danken. Der moderne Tanz scheint sich jetzt trotz der Ballettfanatiker im Berliner Staatsballett ein zweites Standbein aufzubauen.

Michaela Schabel