München – Tschaikowskis Oper „Pique Dame“ in der Staatsoper

Opernkritik "Pique Dame" in München präsentiert von www.schabel-kultur-blog.de

©Bayerische Staatsoper München, Foto: Winfried Hösl

„Drei –  Sieben – Ass“ – diese Glückskarten werden zu Puschkins Leitmotiv in seiner kurzen, sehr dichten Erzählung „Pique Dame“ (1834) über eine Spielernatur, auf der die gleichnamige Oper beruht. Tschaikowskis Bruder Modest weitete das Libretto der psychologischen Ebenen willen um Räume, Figuren und verlegte die Handlung zurück in die opulente Regentschaft von Katharina I. Pjotr Tschaikowski ergänzte selbst Textstellen für traditionelle Chorlieder und Arien, um die Seelenlage der Protangonisten zu unterstreichen. 1890 uraufgeführt wurde „Pique Dame“ europaweit bejubelt. Die moderne Inszenierung an der Münchner Staatsoper verwandelt das Libretto  in einen Film Noire und punktet durch expressive Reduktion der Handlung und Bühnenszenen, die Aura tiefer Stimmen und ein temperamentvolles Dirigat. 

Die psychischen Prozesse dieser Dreiecksgeschichte interessieren, das Oszillieren zwischen Realität, Mythos und Wahn. Der Kinderchor in Soldatenkleidung lässt den Krieg im Kontrast zu den russischen Volksliedern aufblitzen, ohne dass ein gesellschaftskritischer Ansatz weiterverfolgt wird. Hermanns persönliche Verzweiflung steht im Mittelpunkt bedingt durch seine desolate Finanzlage und die damit verbundene Aussichtslosigkeit die Liebe Lisas zu gewinnen, die dem Fürsten versprochen ist, aber Hermanns Liebe durchaus erwidert. Hermann bedrängt die Gräfin, ihm das Geheimnis der drei Glückskarten zu verraten. Vor Aufregung stirbt sie an einer Herzattacke. Er fühlt sich als ihr Mörder, Lisa hintergangen. Nicht Liebe, sondern Geldgier scheint Hermanns Motivation. Im Traum erscheint ihm die Gräfin und gibt ihm ihr Geheimnis preis. Doch Hermann völlig traumatisiert verwechselt die Karten statt „Drei – Sieben – Ass“ zieht er Drei – Sieben – Pique-Dame“, verliert sein gerade gewonnenes Vermögen und erschießt sich. 

Durch die optische, aber effektvolle inszenatorische Schlichtheit gewinnt gerade die musikalische Opulenz an Ausstrahlung, durch die Verortung im Dunkel der Nacht zugleich existenzialistische Züge. Porträtvideos zwischen den Szenen intensiveren die seelischen Prozesse. Mit über der Hälfte der Stimmen im warm durchglühten Bariton-, Bass-, Mezzosopran- und Altbereich kombiniert mit mächtigen Chorsequenzen, fulminanter Dynamik, schnellen Tempi, klaren Fagottlinien, vibrierenden Streicherpassagen lässt der usbekische Dirigent Aziz Shokhakimov die psychologischen Tiefenschichten und zuweilen eine mystisch romantische, byzantinisch gefärbte Atmosphäre aufleuchten.

Regisseur Benedict Andrews verdichtet die Handlung theatralisch durch seine sehr präzise, subtile Personenregie in nüchtern konzipierten Bühnenszenen. Statt eines mondänen Spielsalons rutscht das Milieu in gestylter Kantinenatmosphäre ins schicke Ganovenmilieu inklusive teuerer Limousinen.

Opernkritik "Pique Dame" in München präsentiert von www.schabel-kultur-blog.de

©Bayerische Staatsoper München, Foto: Winfried Hösl

Hermann und Lisa als Paar auf dem Souffleusenpodest signalisieren innige Liebe und darüber hinaus ihre gesellschaftliche Tragik. Die opulente Ballszene nur von einem Steilgerüst von Chor und SängerInnen beobachtet wird zum Tribunal der noch geheimen Dreiecksbeziehung und das letzte Treffen von Lisa und Hermann im Licht auf der nächtlichen Straße im öden Licht von Bogenlampen macht die existentielle Nichtigkeit heutigen Lebensgefühls spürbar.

Diese Inszenierung macht einmal mehr deutlich, dass trotz aller Regieabsichten letztendlich die Klangfarben der Protagonisten entscheiden. Mit Boris Pinkhasovichs sattem, fulminantem Bariton verwandelt sich Fürst Jelezki, laut Programmheft als Mafiaboss und Super-Macho konzipiert, in einen zutiefst Liebenden und avanciert, zumindest in der besuchten zweiten Vorstellung ganz zu Recht zum Publikumsliebling. Brandon Jovanovich oszilliert als Hermann darstellerisch beeindruckend zwischen Liebe, Gier und Wahn, als Anti-Held muss sein Tenor nicht funkeln. Das hätte man mehr von der im medialen Vorfeld stark gehypten Asmik Grigorian erwartet. Ihr heller Sopran wirkt eher kühl, was durchaus zum Rollenprofil einer mutigen Frau passt, die anders fühlt und aus den gewohnten Bahnen ausbrechen will,  macht aber die rasende Liebe von zwei Männern wenig nachvollziehbar. Charismatisch singt und agiert Mezzosopranistin Violeta Urmana. Mit ihrem durchdringenden Timbre wird sie als Gräfin mit geheimnisvoller Vergangenheit zur heimlichen Hauptfigur, tänzerisch raffiniert multipliziert als einstige „Pariser Venus“ vorstellbar.

Diese „Pique Dame“ lässt romantische Sehnsüchte anklingen und im Wahn verklingen. Gerade weil die Inszenierung unpolitisch ist schlägt sie Brücken von Mensch zu Mensch. 

Künstlerisches Team: Aziz Shokhakimov (Musikalische Leitung), Benedict Andrews (Inszenierung), Rufus Didwiszus (Bühne), Victoria Behr (Kostüme), Jon Clark (Licht), Klevis Elmazaj (Choreographie), Christoph Heil (Chöre), Olaf Roth (Dramaturgie)

Mit: Brandon Jovanovich (Hermann), Asmik Grigorian/Lise Davidsen (Lisa), Boris Pinkhasovich (Fürst Jelezki), Violeta Urmana (Gräfin), Roman Burdeko (Tomski), Kevin Conners (Tschekalinski), Bálint Szabó (Surin), Nikita Volkov (Narumow), Tansel Akzeybek (Tschaplizki) Victoria Karkacheva (Polina), Granit Musliu (Festordner), Vitoria Karkacheva (Polina) Natalie Lewis (Gouvernante), Daría Proszek (Mascha), Olga Surikova/Amalia Steinmetzer (Kinderkommandant)