Anja Harteros überstrahlt mit mit kraftvollen, lyrischen Sopran selbst die temperamentvollsten Tutti mit Chor und ihrer Bühnenpräsenz im blendend weißen Kleid, das gesamte Ensemble. Sie ist unter Amélie Niemeyers Regie die große Lady, die ihre Liebe zu leben wagt, eine reine Madonna, die intuitiv, geradlinig und emanzipiert unterstützt, was Rechtens ist. Beharrlich mischt sie sich in Otellos Personalpolitik ein. Cassio soll in Amt und Ehre bleiben, wie er es verdient. Doch in ihrer Unschuld durchschaut sie die Intrige Jagos genauso wenig wie Otello. Indes gemahnt ihr schwarz glänzender Hosenanzug gemahnt schon an ihren Untergang.
Die Bühne, ein großer Raum aus der Belle Epoque, durch Stufe und subtile Lichtregie zweigeteilt, ermöglicht eine spannende Simultaneität von äußeren und inneren Geschehen, Distanz und Nähe, Glanz- und Schattenwelten (Bühne Christian Schmidt, Licht Olaf Werner.)
Extrem minimalistisch ausgelegt, auf Gesang und Musik fokussiert entstehen eindringliche Szenen, wenn Desdemona das Einheitsgrau des Inszenierung durchfunkelt, der Blumendank des Kinderchores zwischen Traumhochzeit und Begräbnis Desdemonas oszilliert, sich der Raum um sie herum als surreale Splitterung ihres Bewusstsein dreht (Video Philipp Baterau), die naturalistische Erwürgungsszene zum dramaturgischen Höhepunkt avanciert.
©Winfried Hoesl
Weniger überzeugt die Welt der Männer. Jago, mit Gerlad Finley, Otello mit Jonas Kaufmann stimmlich und darstellerisch hochkarätig besetzt und bestens in Form, bleiben dennoch im Schatten Anja Harteros. Otello mit Hosenträgern, Jago im T-Shirt degradieren zu biederen Bürokraten ohne Chance Amélie Niermeyers Konzept latenter Migrationsthematik zu offerieren (Kostüme Annelies Vanlaere). Glanzpunkte in den kleinen Partien sind Evan LeRoy Johnson als smarter Cassio und Rachael Wilson als Emilia.
Das Publikum jubelt zurecht.
Michaela Schabel
Fotos: Winfried Hösl
Bildtext: In der minimalistischen Inszenierung kommen Sänger und innere Figurendramaturgie bestens zur Wirkung, in den Hauptrollen Anja Hater0s (Desdemona) und Jonas Kaufmann (Otello)