München – Krzysztof Pendereckis „Die Teufel von Loudun“ in der Staatsoper 

Opernkritik Pendereckis "Die Teufel von Loudun" präsentiert von www.schabel-kultur-blog.de

Schlussapplaus@Michaela Schabel

„Die Teufel von Loudun“ sind kein Werk der Gefühle, auch wenn sich viel um Erotik dreht. Ekstase ist nur das Ventil unterdrückter Triebbefriedigung und Freiheit. Das zu tun, was man möchte, bedeutet den Teufel in sich zu tragen, den die Mächtigen mit allen Mitteln auszutreiben wissen. 

Aldous Huxley schrieb „The Devils of Loudun“ 1952, als in Deutschland gerade die Aufarbeitung des Holocausts begann. Er zeigt am Beispiel der historisch überlieferten Geschichte über den Stadtpfarrer in Loudun, der wegen angeblicher sexueller Exzesse gefoltert und auf dem Scheiterhaufen verbrannt wurde, den Machtmissbrauch der Mächtigen. Aus unerwiderter Liebe bezichtigt die Priorin des Klosters Grandier, den Pfarrer,  die Nonnen verhext zu haben, was der Kommissar des Königs geschickt ausnützt, um Grandier, der sich mutig um die Wehrhaftigkeit der Stadt bemüht, Schachmatt zu setzen. 

1969 komponierte Penderecki (1933-2019)  nach dieser literarischen Vorlage eine Oper für Hamburg. Zwei Tage später wurde sie parallel in Stuttgart inszeniert, dann verebbte das Interesse. Jetzt wagt die Bayerische Staatsoper ein Comeback dieser inzwischen schon sehr religiös verzopft wirkenden Geschichte. Trotz moderner Reduktion bleibt die Inszenierung im historischen Rahmen. Nur an manchen Stellen leuchten in den Abgründen von einst die neuralgischen Positionen religiösen Fanatismus von heute auf.

©Bayerische Staatsoper, Wilfried Hösl

Aus voyeuristischer  Distanz mit expressiver Präzision wird diese Verwicklung von Machtstrukturen und sexuellen Obsessionen sowohl musikalisch als auch inszenatorisch beleuchtet. Ein wuchtiger Kubus kreist als Zeichen der institutionellen Macht auf der Bühne. Aus schmalen Fensterausschnitten luren die Nonnen, der Apotheker und der Chirurg. Effektvoll beleuchtet verwandeln sie sich in Spione, immer und überall präsent.

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©Bayerische Staatsoper, Wilfried Hösl

Grell illuminierte Nischen werden zu Beichtstuhl und schlichtem Schlafraum der Nonnen, zur Kapelle, Apsis und Empore, zum Kloster und zur Folterzelle, schließlich zur Verbrennungsanlage. Schauspielerisch schaukelt sich die spröde Klosteratmosphäre zwischen orgiastischer Begierlichkeit, zuckender Verzweiflung und grotesker Verzerrung zu Szenarien hysterischer Ausnahmezustände hoch, deren Bewertung über den Realitätsanspruch dem Zuschauer überlassen bleibt. Erlebte Obsession oder sinnliche Wahnvorstellungen, das bleibt offen und damit jegliche fundierte Beweislage für den Angeklagten. 

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©Bayerische Staatsoper, Wilfried Hösl

Unter dem Dirigat von Vladimir Jurowski explodiert Pendereckis eigenwillige Klang-Geräuschwelt in allen nur erdenklichen Facetten. Er beweist, dass Pendereckis erste Oper aus dessen wilder experimentierfreudiger Phase eben nicht nur Begleitmusik für Sprechtheater ist, wie einst die FAZ monierte, sondern ein wuchtiges Werk aus Tonclustern und eruptiver Expression. Töne schneiden wie Messer, verdichten sich zu sphärischen Tonwalzen verweben zu Klangteppichen, eskalieren in apokalyptisch dissonanten Strudeln, umschlingen die Menschen wie ihre Begierden, aus denen sie sich nicht befreien können. Nur kurz tauchen kleine Melodien auf, untermalen die SängerInnen, die zwischen Ekstase und Abgrund stimmlich schrille Höhen und bedrohliche Tiefen ausloten. Angst, Wahn, Verzweiflung werden hörbar verstärkt durch das Gellen des Chores.

Nur mit den Händen dirigierend formt Vladimir Jurowski regelrecht das Tonvolumen. Markant, überaus präzise signalisiert er die Einsätze. Jede Rolle bestens besetzt greifen Musik und Spiel nahtlos ineinander. 

Stimmmächtig bringt sich Jordan Shanahan ein, der extrem kurzfristig  für Wolfgang Koch eingesprungen ist und aus dem Orchestergraben die Partie Grandiers singt, wodurch sein Part noch wuchtiger wirkt, während Robert Dölle als sein Alter Ego das Bühnenspiel und die Sprechpartien übernimmt. Eine sehr überzeugende Lösung, die die Premiere in keinster Weise beeinträchtigt.

Die Crux der Oper  sind die häufigen Sprechpassagen, insbesondere die Stimmen der Dämonen. Teuflische Pathetik rückt das grandiose Finale dann doch fast an den Rand des Kitsches. Letztendliche nimmt die Reflexion über das Gesehene und Gehörte die spontane Begeisterung. Das geleistete Engagement ist zweifelsohne außerordentlich, die Oper an sich nicht. Ein Comeback auf die Bühne wird Pendereckis  „Teufel von Lourdun“ wohl kaum gelingen.

Künstlerisches Team: Simon Stone (Inszenierung), Vladimir Jurowski (Musikalische Leitung), Bob Cousins (Bühne, Anna Wunderskirchner (Mitarbeit Bühne), Mel Page (Kostüme), Nick Schließer (Licht), Sven Eckhoff (Klangregie), Stellario Fagone (Chöre), Malte Krasting (Dramaturgie) 

Künstlerisches Team: Vladimir Jurowski (Musikalische Leitung), Simon Stone (Inszenierung), Bob Cousins (Bühne), Mel Page (Kostüme), Nick Schlieper (Licht), Stellario Fagone (Chor), Malte Krasting (Dramaturgie) 

Es singen: Jordan Shanahan/Robert Dölle (Grandier Sänger/Darsteller), Aušrine Stundyte (Jeanne), Ursula Hesse von den Steinen (Claire), Nadezhda Gulitskaya (Gabrielle), Lindsay Ammann (Louise), Danae Kontora (Philippe), Martin Winkler (Vater Barré), Wolfang Ablinger-Sperrhacke (Baron de Laubardemont, Kommissär des Königs), Andrew Harris (Vater Rangier), Ulrich Reß (Vater Mignon), Kevin Conners (Adam, Apotheker), Jochen Kupfer (Mannoury, Chirurg)

zusammen mit dem Chor und Orchester der Bayerischen Staatsoper