München – Haydns „L’infedeltà delusa“ im Cuvilliéstheater

Opernkritike von Haydns  „L'infedeltà delusa“ präsentiert von www.schabel-kultur-blog.de

©Staatsoper München, Wilfried Hösl

Selten weichen Absicht und Realisierung so weit auseinander wie in dieser Inszenierung. Im Programmheft konstatiert Regisseurin Marie-Eve Signeyrole, dass sie das Stück mehr ernst als komödiantisch anlegt und durch die geschlossene Welt des Internats mit seinen strikten Regeln die Widerspenstigkeit der jungen Mädchen herausarbeiten will, die im zweiten Akt statt in einer Posse über eine Theateraufführung mit den Schwächen der Männer spielen, um das Happyend der Liebespaare zu bewirken. Damit auch die Liebesgeschichte im Internat funktioniert und das Ganze noch gendermäßig aufgepeppt wird, macht Marie-Eve Signeyrole Sandrina und ihren geliebten Nanni ein lesbisches Verhältnis, wodurch die einzige Bassstimme in dieser Oper verlorengeht und damit der Reiz der tonalen Tiefe, die Mezzosopranistin Emily Sierra als weibliche Nanni nicht ausgleichen kann. 

Die ganze Inszenierung ist durchzogen von extremen Stilbrüchen, die der Oper jegliche Authentizität nehmen und sie damit erst recht zur Posse machen. 

Das Internat rotiert auf der Drehbühne zwischen lauschigem Schlafsaal mit gemütlichen Nachtischlampen wie einst in den Tanzlokalen mit Tischtelefon und einem Speisesaal mit langem Tisch märchenhaft gigantischem Suppentopf und romantischem Kerzenlicht, über die Großaufnahmen des Live-Video klischeehaft ästhetisiert. Dem nicht genug wird  auch noch Sandrinas Tagebuch in unschuldsweißer Schrift über der Untertitelung eingeblendet, das wegen fehlender Farbkontraste und der schnellen Taktung allerdings selten ganz zu lesen ist, aber, ob man will oder nicht, die Aufmerksamkeit ständig auf das Video lenkt. Statt zu erhellen, spiegeln die Videos nur das Bühnengeschehen, das mit dem tatsächlichen Leben in Internaten wenig zu tun hat. Statt Tiefgang entwickeln sich immer mehr Oberflächenstrukturen. 

Opernkritike von Haydns  „L'infedeltà delusa“ präsentiert von www.schabel-kultur-blog.de

©Staatsoper München, Wilfried Hösl

Schade, denn die Sängerinnen und Sänger des Münchner Opernstudios agieren mit Herzblut, kraftvoll und präzise vom Orchester gestützt, das unter dem Dirigat von Giedré Šlekyté sehr genau auf die Balance von Gesang und instrumentaler Begleitung achtet, sängerische Pausen mit Forti akzentuiert und in rhythmischer Dynamik das Geschehen vorantreibt. Haydns geschmeidige Partitur kommt den jungen Talenten entgegen. Schauspielerisch und sängerisch springt der Funke über ins Publikum, das applausfreudig die einzelnen Gesangsleistungen honoriert. Statt Sandrina (Jessica Niles) und Nanni (Emily Sierra) ständig beim Schmusen unter der Bettdecke voyeuristisch zu beobachten, wäre die Fokussierung auf ihre Gesangspassagen wesentlich gewinnbringender gewesen. Jessica Niles koloriert souverän, Emily Sierra überzeugt vor allem in der Mittellage. Es fehlt noch die glühende Tiefe. Jasmin Delfs gibt eine herrlich taffe Vespina ab. Die Männer bleiben zunächst stimmlich partiturmäßig bedingt etwas im Hintergrund, gewinnen aber immer mehr tonale Wucht und machen in den Parlando-Passagen, sehr gut von Michael Pandya am Cembalo akzentuiert, durchdringende Ansagen. Andrew Gilstrap, noch ein sehr junger Vater, anfangs in den Höhen noch etwas angestrengt, entwickelt zunehmend autoritäre Aura und bleibt trotz allem sympathisch genauso wie Joel Williams als Nencio, der sich in das Spiel der Verkleidung als Frau hineinziehen lässt und gar nicht mehr weiß, wie ihm geschieht. 

Lustig und abwechslungsreich ist dieses überzogene, ästhetisierte Internats-Spektakel inklusive Schattenspiel, Messer und Revolverattacken zuweilen durchaus, aber weder aktuell noch emanzipatorisch, ein Spiel mehr nicht, auch wenn die Videosequenz mit der Ratte als Symbol für die Frau im Käfig, die endlich das Türchen in die Freiheit findet, durchaus auf weibliche Schicksale zutrifft. 

Künstlerisches Team: Giedrė Šlekytė (Musikalische Leitung, Marie-Eve Signeyrole (Regie, Videokonzept) Fabien Teigné (Bühne, Kostüme), Lukas Kaschube (Licht), Laurent La Rosa (Video), Leyli Daryoush, Corinna Jarosch, Katharina Ortmann (Dramaturgie) 

Es singen und spielen die jungen Mitglieder des Opernstudios: Jasmin Delfs (Vespina), Emily Sierra (Nanni), Jessica Niles (Sandrina), Armando Elizondo (Filippo),Joel Williams (Nencio), Andrew Gilstrap (Il padre de Nencio), Michael Pandyo (Cembalo) und Bayerisches Staatsorchester