München – „Das Liebesverbot“ – Richard Wagners zweite Oper im Sugar Mountain in einer Inszenierung der Opera Incognita 

Richard Wagners "Liebesverbot" präsentiert von www.schabel-kultur-blog.de

©Opera Incognita

Richard Wagner, in den 1830er Jahren Kapellmeister und Chorleiter in Würzburg und Magdeburg, orientierte sich am Zeitgeschmack, an Rossini, Donizetti, Mozart und komponierte eine komische Oper, inspiriert von drei künstlerischen Werken, von Wilhelm Heinses Roman „Ardinghello und die glückseligen Inseln“, in dem ein zügelloses Leben der Sinne und Schönheit propagiert wird, Heinrich Laubes dreibändiges Werk „Das Junge Europa“, ganz den Freiheitsideen des Jungen Deutschland verpflichtet und Shakespeares Komödie „Maß für Maß“. 1834 kam die Oper gegen Machtmissbrauch und falsche Moral zur Aufführung und steht wie Beethovens „Fidelio“ (1805) in der Tradition der Rettungsoper, allerdings mit dem musikalischen Impetus einer komischen Oper. 

Gerade diese Andersartigkeit reizte den Richard Wagner Verband München anlässlich seines 150-jährigen Jubiläums „Das Liebesverbot“ als Highlight eines mehrtägigen Kongresses inszenieren zu lassen. Etwas Besonderes sollte es sein und damit ideal für die Opera Incognita. Unter dem Arrangement und der musikalischen Leitung von Ernst Bartmann und der Regie von Andreas Wiedermann entstehen einzigartige Inszenierungen an ganz speziellen Orten, dieses Mal im Eventzentrum Sugar Mountain, einem stillgelegten Betonwerk, in Obersendling. 

Andreas Wiedermann weiß unmögliche Orte raffiniert zu nutzen, Massenszenen spannend, sehr sportlich bis zum Boxkampf und mit Polizeieinsätzen in Szene zu setzen. Die mit Gittern abgesicherte Bühne nützt er als Symbol autoritärer Einschränkung. Schräge Lichtsäulen überall im Raum verteilt erinnern an Schlagstöcke und Überwachung, Nebelschwaden an Wasserwerfer. So kommt die Oper im politischen Jetzt an.

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Den Chor mit fast 30 Mitgliedern lässt Andreas Wiedermann als rebellisches Volk protestierend die Treppe erobern und dann gegen die Polizisten sich wehrend die Bühne. Neben den Massenszenen in kommunaler Öffentlichkeit etabliert er im Spotlight kammerspielartige Intimität, in der Freundschaft erotische Faszination, lässt aber auch Eifersucht und brutalen Machismo aufleuchten, wodurch Bezüge zur heutigen MeToo-Debatte assoziierbar werden. Lässig gekleidet bleibt die Optik im Heute. Sie wandelt sich während des Karnevals in ein schrilles, schillerndes Kostümfest quer durch die Epochen, um die Zeitlosigkeit des Themas hervorzuheben. Mittendrin Mariana, die vom Statthalter verstoßene Ehefrau als ironisch überdimensionierte barocke Unschuldsbraut ein Eyecatcher und die beiden Bösewichte als schräge Vögel. (Bühne, Kostüme Aylin Kaip). 

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Um zwei Nebenrollen leicht gekürzt und in kleiner Besetzung präsentiert gelingt Ernst Bartmann ein überzeugendes Arrangement des „Liebesverbots“. 

Musikalisch werden allerdings wegen der Raumakustik trotz sehr engagierter MusikerInnen und SängerInnen dem Zuschauer Zugeständnisse abgefordert. Die extreme Raumhöhe und -größe verschluckt immer wieder die tonale Differenzierung, so dass sich die Positionierung der Spielszenen enorm auf die hörbare Stimmqualität und Textverständlichkeit auswirkt. Die Tutti überschallen sich. Die Heizung, auch wenn von vier nur ein Rohrsystem eingeschaltet ist, surrt, was in musikalischen Pausen besonders stört. Insofern ist der übertitelte Text während der Ouvertüre „In Zeit der Anarchie ist es laut“ schon ein doppelsinniger, sympathisch selbstironischer Hinweis.

Auch der Blickkontakt zum Dirigenten ist nicht ganz einfach, leichter bei diagonal positionierten Szenen als vorn an der Rampe, wo die seitlichen Monitore kaum gesehen werden können. 

Trotzdem zieht die Oper vor allem im zweiten Akt nach der Pause immer mehr in ihren Bann. Ernst Bartmann weiß „Das Liebesverbot“ schwungvoll zu Ohren zu bringen, arbeitet den Schmelz der Arien, die gefühlvollen Celli-Linien, den melodiösen Nachklang der Flöten und der Oboe, die lärmende Rebellion der Chöre, tänzerische Rhythmik und galoppierende Tempi gut heraus. Das alles klingt allerdings mehr nach italienischer Oper als nach Wagner und ist eben doch Wagner, der frühe Wagner.

Kraftvoll leuchtende Stimmen geben der Inszenierung außerordentliche sängerische Qualität, allen voran die russische Sopranistin Ekatarina Isachenko als Isabella. Egal, wo sie auf dem Bühnengelände singt, ihr Ton ist klar, durchdringend, ihre Artikulation textverständlich, ihr Spiel von weiblicher Eleganz. Wunderbar setzt ihr Duett mit Lyriel Benameur als Mariana leider nur eine kleine Nebenrolle, den Höhepunkt des ersten Akts, in dem die Begabung des jungen Wagners wie eine Leuchtrakete in überaus zart und doch kräftigen Tonfarben hörbar wird.

Sehr imposant agiert der brasilianische Bariton Robson Bueno Tavare als Statthalter Siziliens. Sein Stimmvolumen beeindruckt aus der weitesten Bühnenentfernung. Durch sein angenehmes Timbre und seine männliche Optik passt er bestens in die Rolle des smarten Diktators, der vor Lust glüht, ebenso Florian Dengler als drahtiger Chef der Sbirren mit seinem sonoren Bass. Doch „was hat das Weib aus (beiden) gemacht?“ Die politischen Strippenzieher entpuppen sich als Testeron gesteuerte Hampelmänner. Dunkeltonig ist Welt der mächtigen Männer. Die Tenöre, klangschön Karo Khachatryan (Luzio), Rodrigo Trosino (Claudio) etwas gepresst in den Höhen, haben durch ihre Rollen keine Strahlkraft. Isabella hat die Fäden in der Hand und bringt klug die richtigen Paare zusammen. Der Statthalter wird hinter der Maske mit seiner verlassenen Frau konfrontiert. Das enttäuschte, fulminant eifersüchtige Kammermädchen (Larissa Angelini) bekommt den Polizeichef und Isabella ihre heimliche Liebe, den Freund Claudios. Statt Liebesverbot schafft die Liebesrevolution Harmonie. „Oh, wie öd das Leben wäre, gäbe es nicht die Liebe und Liebeslust“. In späteren Werken weicht Richard Wagners verspielt fröhlicher Optimismus äußerster Tragik. 

In weiteren Rollen singen, Konstantin Riedl (Antonio), Herfinnur Árnafjall (Angelo).