©Bayerische Staatsoper, Wilfried Hösl
„To be or not to be“, Sein oder Nichtsein, Hamlets berühmtes Zitat, wird zum Pulsschlag der Oper. Schon nach kaum sechs Minuten fallen in Shakespeares Stück diese Worte, doch in der Oper werden sie rhetorisch und sängerisch durch Wiederholung bedeutsamer. Hamlets beleuchtetes Gesicht lässt schon zu Beginn das Ende ahnen. Er ist völlig verstört, will den Mord an seinem Vater rächen und stürzt dabei alle Beteiligten und sich selbst ins Unglück. Hinter dem verlogenen Schein der festlichen Hochzeitsgesellschaft enthüllen die Geisterscheinungen und ein bäuerliches Moritatentheater das Sein der Wahrheit. „Oh Weh, dass ich sah, was ich sah“, prägt sich markant ins Gedächtnis ein. Die von oben einschwebende Leichengrube wartet schon auf die nächsten Opfer, die bei einem nostalgischen Fechtkampf, wie man ihn heute in der Oper kaum noch erlebt, ums Leben kommen.
Die intrigante Mordtragödie oszilliert als Oper zwischen kosmischer Wucht und poetischer Subtilität. Dafür kreiert Brett Dean einen ganz besonderen Klangapparat mit Stereoeffekten, indem er je einen Trompeter, Klarinettist und Schlagzeuger in den unteren Logen vis-a-vis positioniert. Neben dem großen Chor als Festgesellschaft auf der Bühne intensiviert ein zweiter kleiner Chor im Orchestergraben die klangliche Ausdehnung der Gesangsstimmen, indem er die erste Silbe eines Wortes als Loop wiederholt und damit klanglich halluzinative Stimmungen erzeugt. Klänge der Klarinette, Harfe, des Violoncellos und Tamtams aufgenommen, elektronisch verändert und wieder eingespielt schaffen mythisch originäre Klanglandschaften. Mikrotonale Verschiebungen spiegeln die Dissonanzen des Spiels. Unter dem Dirigat von Vladimir Jurowski bringt das Bayerische Staatsorchester die Facetten dieser komplexen Komposition sehr dynamisch zur Wirkung, ohne dass die Balance zum Gesang verloren geht, aber dieser Klangkosmos nützt sich aber über drei Stunden auch ab.
Glasklar funkeln die Stimmen mit sehr individuellen Timbres über den orchestralen Stürmen. Allan Clayton, Hamlet bereits bei Uraufführung, singt und spielt die Partie mit emotionalem Herzblut. Sein Hamlet ist weder Bösewicht noch Täter, sondern ein Wahrheitssucher in einer existentiellen Krisensituation genauso wie Ophelia, mit Caroline Wettergreen ausgezeichnet besetzt, ein zerbrechliches Wesen mit außergewöhnlicher Stimme, die in lichter Höhe sirenenhaft erstrahlt, um gleich darauf in die Abgründe des Schmerzes abzutauchen. Umgekehrt taucht John Tomlinson als Geist mit fulminantem Bass aus den Nebelschwaden auf und gibt selbst dem Totengräber eine ganz spezielle Aura. Sophie Koch lässt in Gertrude durch ihren durchglühten Mezzosopran und ihrer schauspielerische Umsetzung diametral zur Rolle Spuren von Mütterlichkeit aufleuchten. Claudius, Verursacher allen Leids, bleibt mit Rod Gilfry der nicht greifbare Drahtzieher im Hintergrund. Seine Amoralität treibt das Libretto auf die Spitze. „Kann man Vergebung bekommen und die Früchte der Untat behalten?“ Dieser „Hamlet“ ist interessant, aber emotional berührt er nicht. Entsprechend kurz fiel der Beifall aus.
Künstlerisches Team: Vladimir Jurowski (Musikalische Leitung), Neil Armfield (Inszenierung), Ralph Myers (Bühne), Alice Babidge (Kostüme), Jon Clark (Kostüme), Rustam Samedov (Chor), Denni Savers (Choreografie), Nicholas Hall (Fecht-Choreografie), Laura Schmidt (Dramaturgie)
Es singen: Allan Clayton (Hamlet), Caroline Wettergreen (Ophelia), Rod Gilfry (Claudius), Sophie Koch (Gertrude), Charles Workman (Polonius), Jacques Imbrailo (Horatio), John Tomlinson (Geist, Totengräber, Spieler 1), Sean Panikkar (Laertes), Patrik Terry (Rosenkranz), Christopher Lowrey (Guildenstern), Liam Bonthrone (Spieler 2), Joel Williams (Spieler 3), James Crabb (Akkordeonspieler)