Landestheater Niederbayern – Händels Barockoper „Ariodante“

Opernkritik "Ariodante" präsentiert von schabel-kultur-blog.de

Nach einem dramatischen Hin und Her zwischen vermeintlichen Selbstmord, Wahnsinn und Duell multipliziert sich das Happyend, weil Ariodantes Bruder am Schluss  das Herz seiner heiß geliebten Dalinda erobern kann.

Obwohl Regisseur Stephen Medcalf konsequent die Inszenierung auf ein psychisches Kammerspiel zuspitzt, lässt er  durch Tanzeinlagen und den Chor als höfisches Umfeld sowohl barocke Opulenz als auch ironische Distanz aufleuchten (Choreographie Michael Schmieder). Vertanzt wird die Geschichte  von Adam und Eva ironisch in der  biederen Märchenoptik von Hänsel und Gretel. Nicht Adam, sondern Eva beißt in den Apfel und beide entschwinden vor dem Apfelbombardement des Hofstaats. Damit nimmt der Tanz das Ende vorweg. Nach der Hochzeit legen  Ariodante und Ginevra die Krone ab und entschwinden. Sie wollen leben und lieben, nicht regieren, so die zweite Botschaft dieser „Ariodante“-Version.

Wunderbar reduziert inszeniert Stephen Medcalf dieses sehr simple, dafür logische Libretto. Vor dem Halbrund eines aquarellierten Vorhangs bleibt der Fokus  im Lichtkegel immer auf den Sängern in ihren leuchtenden Kostümen eine Mischung aus zackigem Design, Mondrian-Mustern des Hofstaats und  wie aus einem altmodischen Bilderbuch die Tänzer (Kostüme Iris Jedamski).  Eine bewegliche Steinmauer, ein Thronstuhl, ein weißer Kubus als Ort der vermeintlichen Verführung genügen um räumliche Spannungen und Schattenspieleffekte zu zaubern. Siegesgewiss zerschlägt Polinesso einen Spiegel als Symbol der Wirklichkeit. Sie zersplittert angesichts seiner raffinierten Intrige. Nach der Pause vermitteln eine Felswand und linear verortete Felsbrocken die dramatische Stimmung zwischen Meer und Palast, durch die Lichtregie in surreale Wahnlandschaft verwandelt, in der Ginevra bereits ganz abgehoben wie ein Geist herumirrt.

©Peter Litvai

Hervorragend agiert das Ensemble, allen voran Sabine Noack als Ariodante. Ob Liebesfreud oder Liebesleid, sie koloriert alle Emotionen mit berührender Intensität, strahlender Leichtigkeit in höchsten Tönen und abgründiger voluminöser Tiefe. Nicht minder packend zeichnet Maria Pitsch Ginevra zwischen Wahn und Todessehnsucht mit kleinen Handbewegungen und ihrem mächtig auftrumpfenden Sopran. Emily Fulz gibt Dalinda  egal ob als Hofdame, Liebende oder malträtierte Frau, tonal und schauspielerisch die Reinheit einer unschuldigen Seele. Als Polinesso gelingt Reinhild Buchmayer das Gegenteil. Mit ihrem kraftvollen Mezzosopran, schauspielerischem Talent und Fechtkünsten überzeugt sie als überheblicher, intriganter Macho, wobei ihre hüftigen Penetrationsanspielungen gleichzeitig diesen Männertyp parodieren. Mark Watson Williams zeigt im Duett mit Dalinda,  sein kerniges Timbre. Nur Peter Tilchs König wirkt blass und zerbrechlich, ohne die abgründige Tiefe.

Der begeisterte Applaus gilt insbesondere dem Orchester, das schlank und mit feinster Tonalität diese Barockoper bis auf die Laute ohne historische Instrumente wunderbar klangvoll zu Gehör bringt, mit zwei Cembali die Rezitative federleicht und sehr melodiös umspielt. Diese Oper sollte man nicht versäumen.

Michaela Schabel