Halle – Händels Oper „Teseo“ als Medea Pasticcio

Opernkritik "Teseo" in Halle präsentiert von www.schabel-kultur-blog.de

© Foto: Theater, Oper und Orchester GmbH, Falk Wenzel

Der Plot fokussiert auf Medeas Eifersucht, darüber hinaus auf die Frage, warum Medea Jahrhunderte lang so rezipiert wurde. Die Antwort ist aus heutiger Sicht leicht zu beantworten. Es war und ist die Dominanz der Männer. 

Die weitschweifige Oper in fünf Akten wandeln Berger und Amelungsen in ein stringentes  Pasticcio in 10 Kapiteln, nicht aus fremden Arien. Dirigent Attilo Cremonesi hat Händels „Teseo“ nur neu arrangiert, Rezitative gestrichen und zwei Orchesterstücke hinzugefügt. Die projizierten Titel strukturieren das Geschehen rund um die Eifersucht als psychologischen Spannungsbogen von „Jetzt Immer Einer“ über den „Einzigen Weg“ bis zum „Ende“ Medeas. Die weiblichen Arien Clizias und Agileas als Varianten Medeas konzipiert gelingt ein faszinierendes Medea-Kaleidoskop quer durch die mitteleuropäische Kulturgeschichte. Aus Teseo wird Jason, Medeas Vater (Ki-Hyun Park) übernimmt die Arien Egeos. Medeas Bruder (Henry Vallentin) und Jasons Geliebte (Linda Rabisch) werden zu stummen Statistenrollen reduziert. 

Wie ein Conférencier steht Samuel Mariño als Jason im grau eleganten Anzug vor dem weißen Bühnenvorhang und weicht zur Seite. Die Bühne gehört Medea. Jason ist ihrer überdrüssig und überlässt sie ihrer Eifersucht, multipliziert durch die anderen Medeas.

Statistin Paula Schuster übernimmt als Medea 1690 den heiteren Part in der stummen Rolle des kleinen temperamentvollen Mädchens, schon als Kind, eingezwängt im ausladenden Reifrock, ein dressiertes Wesen. Nicht recht viel mehr Bewegungsspielraum hat Yulia Sokolik als Medea 1880 (Clizia) im engen Miederkleid mit Figur betonender Turnüre eine vornehme Dame. Vanessa Walhart als Medea 1958 (Agilea) agiert im Petticoat-Kleid sehr kess, doch weißer Kragen und Schürze signalisieren immer noch die Reduktion auf Küche und Kinder. Kammersängerin Romelia Lichtenstein dagegen ist im schlichten Etuikleid von allen Konventionen befreit, bleibt dennoch die vor Eifersucht rasende Medea 2020.

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Allesamt in Rot mit roten Haaren, blassem Teint, ergänzt durch weitere Medeas in bühnengroßen Videos bekommt Medea immer neue Facetten, baut sich gleichzeitig der Mythos Medea zum magischen Ungetüm auf, wenn sie in wallendem, zwei Stockwerke großen Rock über der Bühne schwebt (Kostüme Ester Bialas, Video Kai Hengst, Jacob Kluge). Der Clou ist, Medea 2020 bringt ihre Kinder nicht um, zusammen mit ihren Vorgängerinnen jagt sie Jason zum Teufel. 

Großartige Bilder entstehen nicht zuletzt durch die filigranen, ganz in Weiß gehaltenen Bühnenbauten (Sarah Katharina Karl), ein sich drehender hexogonischer Raum, der mit Treppen, verschiedenen Spielebenen eine zauberhafte  Kulisse abgibt und dem Drama die federleichte Magie des Spiels vermittelt, in der die Sängerinnen und Sänger voll ihre Aura entwickeln können. 

Großartig wirkt jede Arie. Jede Medea lässt aufhorchen. Die größte Wucht entwickelt Kammersängerin Romelia Lichtenstein mit ihrem großen Tonspektrum, womit sie Eifersucht, Rache und Wut fulminant auslotet und durch ihr temperamentvolles Spiel akzentuiert. Ihre eifersüchtigen Vulkanausbrüche konterkariert Shooting Star Samuel Mariño, 27 Jahre jung, als charmanter Frauenflüsterer.

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Sein Jason ist kein berechnender Machtmensch, sondern der liebenswerte Latino-Verführer, der keiner schönen Frau widerstehen kann. Ein blondes Püppchen hat er sich angelacht. Wer wird die nächste sein? Wie Amor höchstpersönlich taucht Samuel Mariño immer wieder freudestrahlend auf, koloriert weich, zart, entwickelt unangestrengt und unerwartet fulminante orgiastische Forti.

Nicht minder famos spielt das 10-köpfige Händelfestspielorchester. Unter der Leitung Attilo Cremonesis funkt und wogt es auch im Orchestergraben. Cremonesi nimmt mit seinen ausladenden Körperbewegungen die Musiker empathisch mit, strahlt beseelt vor Glück, weil die Einsätze perfekt klappen,  der warme, beschwingte Grundton das Bühnengeschehen wunderbar unterstreicht. 

Halle gilt zwar als Zentrum Händelscher Musikpflege. Doch gerade derart moderne und mutige Inszenierungen eröffnen erfrischend neue Horizonte. Famos! 

Michaela Schabel 

 

 

 

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