Statt diese lyrisch-komische Oper traditionell aufzuführen, wählt Tcherniakov eine Struktur aus Opernworkshops, in der frustrierte Opernliebhaber und eine abgetakelte Operndiva unter Anleitung eines Moderators (Maxim Paster) endlich einmal eine große Rolle singen und spielen dürfen. So agiert fast jeder Sänger in einer Doppelrolle, woraus sich über das witzige Libretto hinaus weitere freche Anspielungen ergeben bis hin zum eingespielten Video mit Statements von Opernliebhabern, die sich von einer Drogensucht befreiten, um endlich wieder ein freies Leben beginnen zu können.
Als Bühnenbild genügen einige Reihen des Staatsoperngestühls, die nahtlose Übergänge von Probensituation und Spielszene ermöglichen. Auf einer weißen Tafel wird notiert, wer wen singt, um das komplexe Spiel transparenter zu machen.
Es sind unisono großartige Stimmen, exzellente Schauspieler mit Talent für das Grotesk-Burleske, allen voran Stephan Rügamer in der Hausmusikszene. Er will seine Tochter Luisa, intellektuell frech von Aida Garifullina gezeichnet, mit dem erfolgreichen Fischhändler Mendoza verheiraten, der mit Goran Jurić einen voluminösen, schlitzohrigen Schwiegersohn abgäbe, wäre da nicht der attraktive Don Antonio, mit Bogdan Volkovs strahlendem Tenor Inbegriff ehrlicher Liebe, der schon längst Luisas Herz erobert hat. Auf den Fischhändler hat dagegen die Amme, von Violeta Urmann als pathetische Ulknudel in Szene gesetzt, ein Auge geworfen, um sich sozial abzusichern. Und dann gibt es noch das dritte Liebespaar. Luisas Bruder Ferdinand, Andrey Zhilikhovsky zeichnet ihn als absoluten Loser, der durch seine tölpelhaft ungestüme Art seine geliebte Clara, von Anna Goryachova hervorragend gesungen, ins Kloster flüchten lässt, aber sie natürlich auch noch bekommt. Trotz kurzer Partie lässt auch Lauri Vasar als Don Carlos aufhorchen.
Doch trotz der überzeugenden Ensembleleistung und der brillanten Klangdifferenzierung unter Daniel Barenboim verliert Dmitri Tcherniakovs doppelbödige Inszenierung im Verlauf des Abends deutlich an Kraft.
©Ruth und Marin Walz
Das liegt vor allem an dem ohnehin langatmigen dritten und vierten Akt, verstärkt durch die doppelten Spielebenen, weil sich die musikalische Synergie von Spiel und Musik verliert. Zu albern wird immer wieder im grotesken Probenende dazwischen gelacht, was zwar zu Prokofjews folkoristischen Einschüben passt, aber wenig zu seinen subtilen mediterran-russischen Klangfärbungen, dem frühlingshaftem Verliebtsein und dessen Erdung in melancholisch empfindsamen Fagottlinien.
Der erste Schluss endet nach einer Commedia dell Arte-Prügelei ziemlich ausgepufft im grauen Arbeitslicht, befreit vom Zwang eines im Rollstuhl gefesselten, zum Gnom degradierten Moderators mehr als psychotisches Spektakel denn als dreifaches Happyend. Das bietet die zweite Schlussversion mit Blick auf auf ein barock opulentes Hochzeitsfest.
So werden „Freche Funken, nie in der Familie verlöschen“, wie es im Libretto heißt, durch diese Produktion dupliziert, das gefällt oder gefällt nicht, deutlich hörbar während des Schlussapplauses.
Wenig hilfreich ist für die Zuschauer das Programmheft, das nur auf Prokofjew eingeht und Fragen zur Inszenierung völlig außer Acht lässt.