Berlin – Wagners „Der fliegende Holländer“ als schauerlich-komische Märchenoper in der Komischen Oper

Opernkritik von Wagners "Der fliegende Holländer" präsentiert von www.schabel-kultur-blog.de
©Komische Oper Berlin, Foto: A. Ritterhaus
Warum zündet diese Inszenierung so? Statt romantisierendem Pathos offeriert die Inszenierung einen witzig unterhaltsamen Wagner, möglich durch den distanzierten Blick aus der Märchenperspektive, ohne das Wesentliche aus den Augen zu verlieren, die Ohnmacht des Menschen gegenüber der Natur und seine Sehnsucht eins mit der Natur zu sein. Die Märchenform lässt alle Übertreibungen ganz normal erscheinen und entzündet im Zuschauer kindliches Vergnügen. Das funktioniert natürlich nur, weil Regie und Musik, Optik und Akustik bis ins letzte Detail Hand in Hand gehen. Wie beim Umblättern in einem Bilderbuch wird jede Szene zur Überraschung, ein synergetisches Erlebnis zwischen der Gruselwelt der Piratenzombies und der adretten Welt der Matrosen und Mädchen, ironisiert überzogene Bewegungsparodien,  korrespondierende Farbeffekte und das klangschön fulminante Timbre des Holländer und Sentas. Das schaukelnde Schiff avanciert dabei zum szenischen Leitmotiv.
Daniela Köhler gibt Senta den Schmelz einer Stummfilmschönheit. Die Puffärmel wie Flügel wirkt sie wie ein Engel. Ihr graues Haar verweist bereits auf das Reich der Zombies, noch viel mehr ihre Ballade „Johohhoe“, deren abgründiger Quantensprung sie ihre Erlösungssehnsucht offeriert, durch ein Gemälde von Holländer gespiegelt.
©Komische Oper Berlin, Foto: A. Ritterhaus
Erik (Brenden Gunell) hat keinerlei Chance mehr sie zurückzuerobern. Dass er im Verlauf der besuchten Vorstellung in den Höhen etwas angestrengt wirkt, passt in diesem Fall bestens zur Rolleninterpretation, der er trotz aller Spießigkeit wahrhaftige Liebessehnsucht nach dem Verlorenen verleiht. Er leidet am Verlust des Weibes. Senta dagegen wird erlöst vom Leben. Mit Günter Papendell ist der Holländer nicht nur der Herrscher über die Meere, sondern durch den Wohlklang seiner abgründigen Tiefe ein charismatischer Magier, der wie ein lässig gerissener Vampir sich holt, was er braucht und tatsächlich bekommt, selbst als er sich angesichts Sentas reiner Seele als das, was er ist, outet. Dass beider Kleider glitzernd dem Himmel entschweben, ist ein famoser Schluss, versinnbildlicht über romantische Liebesnostalgie hinaus sehr werkimmanent Wagners Erlösungsthematik.
Den Revuedrive des Chores und der Statisten akzentuieren Dalands Steuermann (Caspar Singh) und Sentas Amme (Karolina Gumos) mit slapstickartiger Komik. Daland (Jens Larsen) selbst schwelgt parodistisch in goldenem Schmuck, den die Piraten in einem Endlosreigen ablegen, und verbreitet tonale Resolutheit.
In diesem Märchen gibt es keinen Bösewicht. Jede Figur wirkt in dieser Inszenierung durch die humorvolle, pantomimisch durchwirkte Darstellung und die wunderbar atmosphärische und spannungssteigernde musikalische Interpretation sehr sympathisch.
Dirigent Dirk Kaftan zieht alle Register, macht das Orchester zum Akteur eines fulminanten Wellengangs, lässt es toben und stürmen und Wagners Leitmotive immer wieder aufleuchten. Sehr schwungvoll macht Kaftan die volkstümlichen Lieder des Chores hörbar, kraftvoll lyrisch die Kantilenen der instrumentalen Soli, wodurch sich in den Liebesduetten trotz aller slapstickartigen Comedy immer wieder stark emotionale Momente eröffnen. Herbert Fritschs Inszenierung ist ein herrlicher Einstieg Wagners Opernkosmos kennenzulernen, neue Seiten in ihm zu entdecken.
Künstlerisches Team: Dirk Kaftan (Musikalische Leitung), Herbert Fritsch (Regie, Bühnenbild), Andrej Rutar (Mitarbeit Bühnenbild), Bettina Helmi (Kostüme), Charlie Casanova (Gemälde), Julia Jordà Stoppelhaar (Dramaturgie), David Cavelius (Chöre), Carsten Sander (Licht)