Berlin – Rued Langgaard „Antikrist“ in der Deutschen Oper 

Opernkritik Langgard "Antikrist" präsentiwert von www.schabel-kultur-blog.de
Deutsche Oper Berlin, "Antichrist" von Rued Langgaard Uraufführung: 30.1.2022, Musikalische Leitung: Stephan Zilias, Inszenierung, Bühne: Ersan Mondtag, Kostüme: Annika Lu Hermann, Ersan Mondtag, Licht: Rainer Casper, Chöre: Jeremy Bines, Choreografie: Rob Fordeyn, Dramaturgie: Carolin Müller-Dohle Luzifer - Thomas Lehman Gottes Stimme- Jonas Grundner-Culemann Das Echo der Rätselstimmung - Valeriia Savinskaia Die Rätselstimmung - Irene Roberts Der Mund, der große Worte spricht - Clemens Bieber Der Missmut - Gina Perregrino Die große Hure - Flurina Stucki Das Tier in Scharlach - AJ Glueckert Die Lüge - Andrew Dickinson Der Hass - Jordan Shanahan Eine Stimme - Thomas Lehman Tänzer*innen: Ashley Wright, Joel Donald Small, Derrick Amanatidis, Giorgia Bovo, Vasna Felicia Aguilar, Yuri Shimaoka, Juan Corres Benito, György Jelinek, Shih-Ping Lin, Ulysse Zangs, Sakura Inoue, Ana Dordevic Chor der Deutschen Oper Berlin Orchester der Deutschen Oper Berlin Copyright (C) Thomas Aurin Gleditschstr. 45, D-10781 Berlin Tel.:+49 (0)30 2175 6205 Mobil.:+49 (0)170 2933679 Veröffentlichung nur gegen Honorar zzgl. 7% MWSt. und Belegexemplar Steuer Nr.: 11/18/213/52812, UID Nr.: DE 170 902 977 Commerzbank, BLZ: 810 80 000, Konto-Nr.: 316 030 000 SWIFT-BIC: DRES DE FF 810, IBAN: DE07 81080000 0316030000

©Deutsche Oper Berlin, Lehner Grundner Culemann

Das liegt weniger an der Oper als an Ersan Mondtags opulenter Inszenierung. Aus Rued Langgaards allegorisch-expressionistischem Werk macht er eine surreale Satire, die das von Anfang an im Libretto zwischen göttlichem Prolog und Finale angelegte Quod erat demonstrandum mit einem gekonnten Stilmix quer durch die Kunstepochen karikiert, inklusive aktueller Genderthematik. Die anfangs überzogen dreidimensionale Körperlichkeit durch Kostüme im Stil von Otto Schlemmers „Triadischem Ballett“ reduziert Ersan Mondtag mit subtiler Raffinesse Schritt für Schritt in eine zweidimensionale Plattheit, wodurch er Langgaards final anvisierte, religiös fundierte Idealgesellschaft als Potemkinsches Dorf vorführt und parodiert. Die Begehrlichkeiten sind schwarze Luftballons, Luftblasen, die sich in Nichts auflösen.

Die TänzerInnen visualisieren, dass menschliche Nähe kaum mehr möglich ist, nur hektisches Suchen nach immer neuen Affekten, die sich doch immer nur als Wiederholungschleifen offerieren. Nur lust- und in dieser Inszenierung auch konsumorientiert verliert das Leben jeglichen Sinn. Nicht die Sterne fallen, sondern ein Pappstraßenkreuzer stürzt vom Himmel. Unter den Menschen machen sich Pessimismus und Bitterkeit breit. Personifizierte Lust und Lüge streiten um ihre Bedeutung. Der Gewinner ist vorerst der Hass mit seiner zombiehaften Gefolgschaft, die mit der Dynamik der Musik mächtig anschwillt. Als XXXL-Format mit Fettwülsten und Hängebrüsten wird die große Hure zum Gegenbild Jesu, nicht am Kreuz, sondern immer wieder überdimensioniert von oben einschwebend am Strick erhängt.

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©Deutsche Oper Berlin, Thomas Aurin

Als Luzifer die Herrschaft übernehmen will, schreitet Gott ein und erlöst die Menschheit, die sein Wirken unisono in einem mächtigen Choral preist. Die große Hure, mit Busen und Penis, wird nicht verdammt, sondern zur Inkarnation der Liebe, womit Ersan Mondtag Langgaards Pathetik noch überbietet und gleichzeitig demontiert. Was bleibt, ist lediglich Kulisse. 

Man ist geplättet von den überbordend optischen und musikalischen Effekten, vom existentiellen Aufbegehren des Expressionismus, dem Stilmix der Kostüme bis zur Wiederauferstehung der cinematisch ausgerichteten Zombies. 

Die Musik rangiert dabei an zweiter Stelle, auch wenn Orchester und SängerInnen unter der musikalischen Leitung von Stephan Zilias mächtig aufdrehen. Spätromantisches Pathos a la Wagner wird zum Orkan. Fulminante Trommelwirbel, fanfarisches Blech, schrille Intonationen und Überlagerungen bis zum apokalyptischen Klanginferno bestimmen den Duktus der Oper, dazwischen, wenn auch nur kurz, wunderschöne, lyrisch flirrende Sequenzen der Streicher, die an Richard Strauss und Debussy denken lassen, und immer wieder werden für die damalige Zeit extrem innovative Klangcluster hörbar, die erst in den 1960er en vogue wurden. Nicht minder wuchtig sind die Partien der SängerInnen. Ganz auf den Gesang konzentriert durchdringen sie kraftvoll Langgaards musikalischen Kosmos’. Bewegungsdynamik und dramaturgische Spannung übernehmen die TänzerInnen und der Chor der Deutschen Oper. 

Diese Inszenierung ist auf jeden Fall ein Opernereignis, an das man sich lange erinnern wird. 

Schlussapplaus©Michaela Schabel

Künstlerisches Team: Stefan Zilias (Musikalische Leitung), Ersan Mondtag (Inszenierung, Bühne, Kostüme), Nannika Lu Hermann (Kostüme), Rob Fordeyn (Choreografie), Rainer Casper (Licht), Neil Barry Moss (Spielleitung), Jeremy Bines (Chor), Lars Gebhardt, Carolin Müller-Dohle (Dramaturgie). 

Auf der Bühne der besuchten 5. Vorstellung: Thomas Lehmann (Luzifer, eine Stimme), Jonas Grunder-Culemann (Gottes Stimme), Valeriia Savinskaia (Das Echo der Rätselstimmung), Clemens Bieber (Mund, der große Worte spricht), Marie Therese Carmack (Der Missmut), Flurina Stuckl (Die große Hure), Al Glueckert (Das Tier in Scharlach), Andrew Dickinson (Die Lüge), Josef Allison (Der Hass)