©Monika Rittershaus
1982 bis 2002 war Harry Kupfer künstlerischer Leiter der Komischen Oper. Mit seinem Regiestil, seiner psychologischen Figurenzeichnung im historisch-gesellschaftspolitischem Umfeld prägte er das Image der Komischen Oper entscheidend mit. In dieser Spielsaison wurde Harry Kupfer von Intendant Kosky eingeladen eine Händeloper nach freier Wahl zu inszenieren. Das war für Harry Kupfer die Chance, endlich „„Poro, Re dell’Indie“ (1731), so der Originaltitel, auf die Bühne zu bringen, eine der unbekanntesten von Händels 42 Opern, die Harry Kupfer schon seit seiner Studentenzeit interessierte.
Statt in die antike Welt Alexander des Großen verlegt Harry Kupfer die Inszenierung ist in das 19. Jahrhundert der Kolonialisierung Indiens.
Dazu hat Susanne Felicitas Wolf das Libretto auf Deutsch nachgedichtet, die Arien anstelle barocker Wiederholungen neu durchgetextet, was natürlich schwieriger zu singen ist, aber im Vergleich zu den ritualisierten Librettokonventionen jener Zeit Geschehen und psychologische Hintergründe wesentlich dynamischer und realistischer beleuchtet.
Der Clou ist, dass Alexander der Große als Sir Alexander, Offizier der englischen Krone, mit Countertenor Eric Jurenas besetzt wurde, durch dessen klanghelle Koloraturen diese Figur in ihrem unermüdlichen Streben nach Frieden und Versöhnung ständig latent parodiert wird. Hinter dem Schein pazifistischer und nationaler Ehrenhaftigkeit offeriert sich auf allen Ebenen immer mehr die Verfolgung rein persönlicher Ziele und individuellen Wohlergehens einer abgehobenen Oberschicht, die sich kammerspielartig ständig um sich selbst dreht.
Poros, ihn hätte Dominik Köninger zuweilen durchaus noch herrisch kraftvoller zeichnen dürfen, ist mehr mit seiner krankhaften Eifersucht als mit der Verteidigung seines indischen Reiches beschäftigt. Kein Wunder, Mahamaya, die Frau, die er liebt, Königin eines anderen indischen Reiches, bekommt mit Ruzan Mantashyan eine wunderschöne Optik und brillanten sängerischen Ausdruck zwischen leidenschaftlicher Liebe und knallharter Taktik, die sich am Schluss als unverbiegbare Tugendhaftigkeit entpuppt.
©Monika Rittershaus
Nicht minder ausdrucksstark, noch exotischer begeistert Idunnu Münch als Poros´ Schwester Nimbavati und Verlobte von Poros´ Vertrauten Gandharta. Mit ironischer Mimik verkörpert sie diese Frauenfigur verführbar durch die neue Kultur, beschwipst vom Alkohol, fasziniert von den englischen Gentleman-Manieren, zu naiv um Strategien dahinter zu durchschauen. So verkörpern beide Frauen als exotische Schönheiten in funkelnden Saris extrem gegensätzliche Haltungen zwischen Neugier auf das Neue und traditionellen Ritualen, zwischen stoischer Gelassenheit eines Buddhas und schnellen Attacken eines Tigers, die auf der Rundbühne ständig symbolisch kreisen. Letztendlich werden alle Inder aufgesaugt von der neuen Kultur, die sich unter wie der Wolf unter Schafspelz friedlich nähert und doch schon durch die Kisten der East Indian Company Ausbeutung und Überfremdung antizipiert. So ist das finale Happyend mehr Schein als Sein. Die richtigen Paare heiraten, doch Sir Alexander und die Seinen breiten sich schon im europäischen Outfit im indischen Tempel aus. Der Verdrängungskampf beginnt. Der Vorhang klappt wie ein Kistendeckel zu obenauf plakativ die britische Flagge, kaum noch Dschungel (Bühnenbild, Hans Schavernoch.
Das ist große Regiekunst, die atmosphärisch durch die farbprächtigen Kostüme (Yan Tax) und die subtile Lichtregie (Jürgen Hoffmann) mit Fokus auf die Akteure wie ein exotisches Märchen aus ferner Zeit aufleuchtet, verzaubert und doch ständig durch das Libretto und die exakte Personenregie parodistische Distanz schafft.
Unter der musikalischen Leitung von Barockspezialist Jörg Halubek bleibt „Poros“ nach dem etwas bewegt, beschwingten Beginn meist im feierlich majestätischen Tempo. Das Orchester, gibt den Sängern Raum für weit ausholende Melodielinien und akzentuiert mit historischen Instrumenten, insbesondere der Theorbe. Dezent umspielt das Cembalo die Rezitative. Das Paar in der zweiten Reihe konstrastiert in dieser helltonig angelegten Barockpartitur wohltuend in tieferen Lagen. Idunnu Münchs Mezzo gibt Nimbavati eine schimmernd exotische Emotionalität, die sie gerade in ihrem Wankelmut immer wieder authentisch wirken lässt. Philipp Meierhöfers klares kraftvolles Timbre verkörpert bestens Gandhartas Standfestigkeit und Treue.