Berlin – George Enescus „Œdipe“ in der Komischen Oper 

Opernkritik von Enescus "Œdipe" präsentiert von www.schabel-kultur-blog.de

©Komische Oper Berlin, Monika Rittershaus

Über 25 Jahre, von 1910 bis 1935, hat George Enescu an dieser, seiner einzigen Oper gearbeitet, also in einer Zeit, in der vor dem Hintergrund des Ersten Weltkrieges, alles ins Wanken kam, auch in der Musik. Beeinflusst von klassischen Kompositionen, romantischen Stimmungsbildern, den Klangfarben seiner Heimat Rumänien und impressionistischen Ton- und Vierteltonstrukturen komponierte er seinen „Œdipe“ als Tragédie lyrique. Der schreckliche Ödipus-Mythos durchwirkt von lyrischen Momenten ist musikalisch durchaus, vor allem in der Ouvertüre sehr reizvoll, wirkt aber gegen Ende, obwohl die Oper auf zwei Stunden eingekürzt wurde, langatmig und arg harmonisierend.

Die Musik, ständig zwischen tonaler Wucht und lyrischen Momenten kommt durch die minimalistisch symbolische Inszenierung sehr gut zur Wirkung. Die Bühne wirkt durch graue Eisenwände wie ein ehernes Gefängnis, aus dem es kein Entrinnen gibt. Regisseur Evgeny Titov belebt sie mit ebenso wuchtigen Szenen, in denen sich Sänger und Sängerinnen mit den Statisten zu expressiven Tableaus gruppieren, beleuchtet von einem zentralen Lichtkörper, der sich ruckartig vergrößert, sobald Ödipus sich auf die Wanderschaft begibt, um Klarheit über sein Leben zu bekommen, sich verdunkelnd, wenn alle Erklärungen versiegen. 

Ödipus liegt auf dem Boden und versucht sich zu erinnern.

Opernkritik von Enescus "Œdipe" präsentiert von www.schabel-kultur-blog.de

©Komische Oper Berlin, Monika Rittershaus

Doch er tappt noch im Dunkeln, während das Publikum die Geschichte von seiner Geburt und den Weissagungen der Götter erfährt. Umringt vom Volk gebiert die hochschwangere Jocaste in einer großartigen Szene während der Ouvertüre ihren Sohn, eine Missgeburt mit übergroßem Kopf, Symbol des Unheils, das tonal aus dem Orchestergraben schallt, auch wenn Chor und Harfe das neue Leben begrüßen. Ödipus soll das Kind heißen, kaum geboren vom Seher Tirésias wegen künftigen Vatermords und Inzests mit der Mutter stigmatisiert, weil Laïos gegen das Gebot der Götter verstieß Kinder zu zeugen. Ödipus wird trotzdem nicht getötet. Ein Diener rettet ihn und das Schicksal nimmt seinen Lauf. In gigantischen Schleppenkleidern wird Jocaste Witwe und Braut. Ödipus immer blutverschmierter verdeutlicht die immer größere Verkettung seiner unbeabsichtigten Schuld. Doch er kann sich im Wasserbecken nicht reinwaschen. Jocastes Selbstmord und Ödipus´ Blendung und  Selbstverstümmelung sind die physischen Antworten auf den psychischen Kollaps. Ödipus erkennt „Keiner bestimmt das Schicksal außer mir.“ Deshalb will er weiterleben, gegen sein Schicksal ankämpfen. 

Auf der Wanderschaft des Verstümmelten unter der Obhut Antigones lässt die Musik immer wieder melodische Harmonien aufleuchten, sogar Vogelgezwitscher ist zu hören. Das wirkt arg romantisch in diesem düsteren Kontext, auch wenn immer wieder dystrophische Stimmungen dazwischen grätschen, aber eben vom Komponisten so gewollt, der Ödipus im Tod den lang ersehnten Frieden mit sich selbst schenkt. 

Die Rollen sind durchwegs sehr gut besetzt. Leigh Melrose in der Titelrolle wird als geschundener Held vom Publikum gefeiert, auch wenn es seiner Stimme bei den Rezitativen zuweilen an Durchschlagskraft fehlt. Umso mächtiger wirkt Jens Larsens markanter Bass. Nicht zuletzt durch seine körperliche Größe verwandelt er den Seher Tirésias in eine wuchtige Erscheinung.

Opernkritik von Enescus "Œdipe" präsentiert von www.schabel-kultur-blog.de

©Komische Oper Berlin, Monika Rittershaus

Karolina Gumos verleiht Jocaste mädchenhaft weiblichen Charme und verführerisches Klangvolumen. Herausragend singt und spielt Katarina Bradić die kurze Partie der Sphinx, ganz in Rot gleichsam purer Eros kombiniert mit mephistophelischer Listigkeit. 

Unter der Leitung von Ainãrs Rubiķis werden die Chöre, auf dem zweiten Rang platziert, zum großartigen Klangelement dieser Inszenierung. Das Orchester kontrastiert unter dem temperamentvoll empathischen Dirigat von Ainãrs Rubikis infernalische Wucht mit lyrischen Aufhellungen, dissonante Abgründe mit impressionistischem Flirren.

Drei weitere Ödipus-Versionen hatten und haben in Berlin Premiere. Ein El Dorado um den Ödipus-Mythos von unterschiedlichsten Seiten zu beleuchten. Eine entsprechende Berichterstattung folgt.

Musikalisches Team: Ainãrs Rubiķis (Musikalische Leitung), Evgeny Titov (Inszenierung), Rufus Didwiszus (Bühne), Charlotte Spichalsky (Mitarbeit Bühnenbild), Eva Dessecker ( Kostüme), Ulrich Lenz (Dramaturgie), David Cavelius (Chöre), Dagmar Fiebach (Kinderchor) , Diego Leetz (Licht)                                                                                                                                                                                

Es sangen in den Hauptrollen: Leigh Melrose „Œdipe“, Jens Larsen (Tirésias), Joachim Goltz (Créon), Christoph Späth (Laios), Karolina Gumos (Jokaste) , Katarina Bradić (Sphinx) Antigone (Mirka Wagner)