München – „Schmetterling“ – Choreografien mit Kultcharakter getanzt vom Bayerischen Staatsballett

Ballettkritik "Schmetterling" in München präsentiert von www.schabel-kultur-blog.de

Séverine Ferrolier und Vladislav Kozlov©Bayerisches Staatsballett, Wilfried Hösl

Bereits 2010 choreografierten Sol León und Paul Lightfoot „Schmetterling“ für das Nederlands Dans Theater. In Kombination mit „Silent Screen“, eine Choreografie des Künstlerpaares aus dem Jahr 2005, entstand das Programm „Schmetterling“, das bereits bei den Ballettfestwochen des Bayerischen Staatsballetts im März Premiere hatte und jetzt auch bei den Opernfestspielen auf dem Programm steht. 

Die Bühne weitet sich in der ersten Choreografie „Silent Screen“ über ein filmisches Triptychon passend zum Titel in ein mächtiges Landschaftspanorama, davor ein Paar, im Film ein Mann. Ein Weg führt hinaus auf das Meer. Dorthin verschwindet der Mann, Metapher für den Tod, das Paar bleibt und taucht noch einmal ein in das Leben. Aus gebückten Haltungen bäumt es sich auf und gewinnt dabei an enormer Spannung und Größe. Mit weit geöffneten Armen wirken beide wie Vögel, frei und schwebend, synchron nebeneinander, in einem zärtlichen Pas de deux sich gegenseitig beschützend miteinander. 

Ein verschneiter Wald verdrängt das Meer. Ein kleines Kind in einem roten Mantel läuft auf das Paar zu. Seine Pupillen verwandeln sich in einen Strudel, in dem Erinnerungen und Transformationen menschlicher Beziehungen auftauchen. Landschaftliche Weite wird zu beengter Räumlichkeit, in der nur durch ein kleines Fenster Sonnenstrahlen eindringen und Schatten werfen. Unter kosmischem Sternenhimmel, der sich abrupt in existenzielles Schwarz wandelt, wird die ganze Palette zwischen Liebe und Tod, Lebensfreude und Schutzbedürftigkeit fühlbar, dynamisiert durch Philipp Glass’ minimalistische Musik in Wiederholungsschleifen. Solistische Individualität wechselt mit synchroner Perfektion in Zweier-, Dreier- und Vierergruppen. Weit gestreckte Beine und Arme wirken wie gezirkelt, Schräglagen, Schrittfolgen, hektische Körperbewegungen und Schattenspiele wie Stummfilmsequenzen. Von den Männern mit nackten Oberkörpern getanzt wird das Spiel der Muskeln in lichtumflorter Aura zum ästhetischen Genuss. Männer und Frauen in Röcken herumwirbelnd intensiviert sich das Tempo und löst Genderproblematiken spielerisch auf, bis der cinematische Strudel die Zuschauer aus ihrer Reise in die menschlichen Innenwelten wieder in die Realität spült, über die Pupille auf das Kind fokussiert, das jetzt wegläuft, um sein eigenes Leben zu finden, während an der Bühnenrampe final eine Tänzerin in einem gigantisch bühnenweiten, schwarzen Rock erscheint, als wolle sie alles Erlebte sanft zudecken. Jetzt ist sie bereit den letzten Weg zu gehen, dem Tod wie eine Geliebte gefasst und aufrecht in das Nichts zu folgen.

Verschiedene Zeitebenen bestimmen auch die Struktur von „Schmetterling“. Die Frau ist alt, die Wirbelsäule gekrümmt, herrlich selbstironisch und sympathisch von Laurretta Summerscales getanzt. Um so größer und aufrechter wirken die TänzerInnen um sie herum, die in einer Art von Nummernrevue in verschiedenen Konstellationen nach den Songs der Crossover-Band „The Magnetic Fields“ und Max Richters Klangmix aus Kammer- und Ambientmusik. Adrenalisierte Lebensfreude explodiert in immer schnellerer Tanzdynamik, euphorisierten Lächeln und Jubelschreien. Die Bühne fokussiert auf eine v-förmige, mittig eingeschnittene Wandflucht, die den Blick auf spirituelle Weite im Hintergrund und auf das ungleiche Paar davor lenkt, während aus den seitlichen Gängen die TänzerInnen inspiriert von der Musik mit immer neuen Tanztransformationen überraschen. Lässige Catwalks, Rock’n’Roll-Elemente, athletische Eyecatcher, Linedance-Andeutungen und Techno-Ekstase leuchten auf, rasante Sprünge und Pirouetten dazwischen und werden gleichzeitig durch kleine witzige Bewegungen und Gesten charmant parodiert. Durch die einheitlichen Mantelkleider verwischen auch in diesem Stück die gendermäßigen Unterschiede, umso deutlicher wird die liebevolle Beziehung der alten Dame zu dem jungen Tänzer, nichts anderes als ein Symbol dafür, wie sich Rollen ändern, wenn die taffe Mutter plötzlich der Hilfe des erwachsenen Sohnes bedarf. Die Bühnenbauten schweben hoch und vor grandioser Landschaft verkörpert  das Paar die mythische Größe innigster Seelenverwandtschaft.

Ballettkritik "Schmetterling" in München präsentiert von www.schabel-kultur-blog.de

Lauretta Summerscale, Robin Strona©Bayerisches Staatsballett, Carlos Quezada

 

„Silent Screen“

Künstlerisches Team: Sol León, Paul Lightfoot (Choreografie, Bühne, Kostümdesign, Filmkonzept), Joke Visser, Hermien Hollander (Kostümrealisation), Philip Glass (Musik), Tom Bevoort (Licht), Metropolis Film, Dick Schuttel (Filmrealisation)

Getanzt von Eline Larrory, Severin Brunhuber, Andrea Marino, Bianca Teixeira, Matteo Dilaghi, Osiel Gouneo, Ariel Merkuri, António Casalinho, Madison Young, Vladislav Kozlov, Séverine Ferrolier

„Schmetterling“ 

Künstlerisches Team: Sol León, Paul Lightfoot (Choreografie, Bühne), Joke Visser, Hermien Hollander (Kostümrealisation), Max Richter, Band „The Magnetic Fields“ (Musik), Tom Bevoort (Licht), Rahi Rezvani (Projizierte Fotografien)

Getanzt von Laurretta Summerscales, Robin Strona, Rafael Vedra, Florian Ulrich Sollfrank, Shale Wagman, Elvina Ibraimova, Kristina Lind, Sergio Navarro, António Casalinho, Phoebe Schembri, Vladislav Kozlov, Severin Brunhuber