©Musikfest Berlin 2022
Unter dem Dirigat von Klaus Mäkelä spielt das Concertgebouworkest, berühmt für seinen kammermusikalischen Drive, noch schneller, weicher, fulminanter und verwandelt Kaija Saariahos flirrende, überaus komplexe Komposition „Orion“ in ein akustisches Klangerlebnis, das in den drei Sätzen „Memento Mori“, „Winter Sky“ und „Hunter“ nicht nur die viel zitierte Polarität von Bewegung und Ruhe, Liebe und Sehnsucht, Heimat und Fernweh herausarbeitet, sondern in dem Werk die existentielle Spannung von Leben, Kampf und Erneuerung entdeckt. Das absteigende Quartenmotiv wird zum Herzschlag von Werden, Vergehen und Neuanfang, eingebettet in eine furiose Spannung lyrischer Verspieltheit und brachialen Volumens. Losgelöst von den vorgegebenen Satztitulierungen gibt das Orchester Raum für ganz neue Assoziationen.
©Berlinfest Berlin 2022
Im sphärisch apokalyptischen Finale des ersten Satzes entdeckt Klaus Mäkelä ein wahrhaft filmdramaturgisches Inferno und kontrastiert es mit der Stille einer wuchtigen Generalpause. Im zweiten Satz verwandelt sich die Piccoloflöte in Vogelgezwitscher, lassen die beiden Harfen Wassertropfen assoziieren, bäumen sich kurz Dissonanzen auf, entfalten sich wie in einem Traumspiel mitten im nächtlichen Wald romantische Sehnsüchte, um im dritten Satz in einem neuen Tag voller Übermut und klanglichen Schalks zu explodieren. Die Instrumentalgruppen entwickeln immer rasantere Naturbilder bis zu wildgewordenen Bienenschwärmen und einem unerwarteten Exitus durch die Wucht der Schlagwerke. So verwandelt Klaus Mäkelä mit dem Concertgebouworkest das Sternbild „Orion“ in eine Sternstunde der Musik.
Neben dieser raffinierten Klangkomposition hat es Gustav Mahlers 6., klar strukturierte Symphonie schwer. Mit 80 Minuten Länge überschreitet sie nicht nur um einiges das übliche Zeitmaß für Symphonien, sondern zeigt durch ständige Wiederholungen des Marschmotivs auch gewisse Längen, was Klaus Mäkeläs brachiale Interpretation nicht besser macht. Wie ein Magier aus einem Stummfilm überträgt er seine Freude an musikalischer Vehemenz auf das Concertgebouworkest. Er beugt sich nach unten, lässt den pulsierenden Marschrhythmus sinnbildlich aus dem Boden stampfen und macht Mahlers 6. Symphonie gestochen scharf mit ziselierter Präzision als nicht zu stoppendes politisches Ereignis hörbar. Ein Fortissimo folgt dem nächsten, was sich aber über vier Sätze hinweg abnützt und den emotionalen Facetten von Mahlers Musik zu wenig Raum gibt. Selbst im „Andante“, in dem sich Mahlers Ehefrau Alma gespiegelt sah, in der präsentierten Version vor dem „Scherzo“, hält sich die lyrische Expression in Grenzen, wird die Dynamik zu laut, was mitunter fast ironisch wirkt. Das Scherzo dagegen lässt aufhorchen. Hier spielt Mahler selbst die Kollision von Dreivierteltakt und Marschmusik parodistisch aus, was Mäkelä durch retardierende Rhythmik, Betonung der Dissonanzen, rasant schnelle Pauken und wuchtiges Blech und flott weggebügelte tänzerische Ansätze besonders temperamentvoll hervorzuheben weiß. Hier blitzen weniger Mahlers persönliche Schicksalsschläge auf, wie Alma das konstatierte, sondern die Eintrübung durch pessimistische Zukunftsvisionen, obwohl Mahler selbst die Komposition noch in einer sehr schönen Lebensphase schrieb. Aufmüpfig wird kontrastiert, stürmisch aufbegehrt, vehement dynamisiert und im vierten Satz durch wuchtig hervorgehobene tiefe Tonalitäten, mächtiges Blech und aufrüttelnde Schlagwerke immer noch eine Nuance furioser. Gewalt wälzt jegliche Emotionalität nieder. Sogar die Harfen klingen schneidend hart. Klaus Mäkeläs Interpretation von Mahlers 6. Symphonie vermittelt weniger den Charakter der Tragik als den Impetus militärischer Macht.
©Michaela Schabel
Das Publikum ist hingerissen, so mancher Mahler-Enthusiast nachdenklich. Klaus Mäkelä und die Musiker strahlen über ihren Erfolg.