Berlin-Boulez-Saal – „Luther dancing with the god“

Konzert Kritik Berlin Berlin Pierre-Boulez-Saal Dancing with the god

 

Vier Motteten Bachs  bilden die musikalische Basis für die szenische Darstellung „Luther dancing with the god“.  Dazu entwickelt  Robert Wilson expressiv reduzierte Szenen existentiellen Theaters mit faszinierender Lichtregie und Nutzung der  elliptischen Raumstrukturen des Berliner Pierre-Boulez-Saales. Aus der Fusion von Raum, Licht, Sprechtheater, bildender Kunst, Chor und Musik entsteht Luthers Leben  in vier Kapiteln mit intellektuellem Tiefgang  in kosmischer Weite,  perfekter Akustik,  intensiviert durch eine exzellente Ästhetik (Kostüme/Haare Julia von Leliwa) und subtile  Ironie.

Schmale Lichtbahnen im elliptischen Gegenrhythmus entführen im Dunkel der Nacht in den Schöpfungskosmos, weiße Himmelsleitern ins schwarze Nirgendwo.  Allein gelassen sind die Menschen, ein Kind  in Weiß (Serafin Mishiev)  und eine Frau in Schwarz (Lydia Koniordou),  Symbole der jugendlichen  Unschuld und dunkel-dubiosen Erklärungsversuche der Mächtigen.  In Griechisch proklamiert Lydia Koniordou mit wahnsinnig markantem Stimmklang den Prolog aus der Bibel und ironisiert vom ersten Moment an die Kirche in ihrer Unverständlichkeit für das Volk. Und das Kind schreit genauso unverständlich und unverstanden hinaus in den Weltenraum.  Rothaarig leuchten beide Figuren  wie „Ein Rätsel“ auf und drehen wie Beckettsche Figuren sinnlose  Runden in Zeitlupe.

Gleichzeitig macht der Berliner Rundfunkchor mit perfekter Klangharmonie  die Wucht religiöser Macht spürbar, dezent von Aleke Alpermann (Violoncello), Mirjam Wittulski (Kontrabass) und Arno Schneider (Orgel) untermalt und überaus souverän und präzise von Gijs Leenaars dirigiert.

Mit Bachs Motette  „Der Geist hilft unser Schwachheit auf“  wandelt sich Religion  zum  Leuchtturm. Wilson entwickelt dazu eine „Apokalypse“ der Menschheit und die von ihr entwickelten Lösungsmuster in Schwarz-Weiß. Als wunderschön stilisierte  Engel und Teufel gewandet, treffen Welten zusammen, Musik und Theater, Zeitlupe und Bewegung. Dabei wechselt der Chor ständig seine Position, ohne die klanglicher Balance zu verlieren. Männer schön wie antike Marmorskulpturen frieren zu Skulpturen ein, sterben an den Verletzungen, die sich gegenseitig symbolisch mit schwarzer Farbe  auf der Haut zufügen. Durch „Jesu meine Freude“ finden sie die Wiederauferstehung und drehen sich besinnungslos wie Derwische.

Mit charismatischer Stimme disputiert Jürgen Holtz als Luther mit Lydia Koniordou als Vertreterin der katholischen Kirche. Das  „Streitgespräch“ schaukelt sich über einen  akustischen Orkan gegenseitigen Überschreiens und Unterbrechens  zur Groteske menschlichen Wollens und Geistes,  wodurch  Steve Reichs anschließende „Clapping Music“, eine mitreißende  Klatschperkussion des Chores weniger applaudiert  als mit ironischer Distanz die religiösen Manipulationen karikiert.

Vom Leben gebeugt sucht Luther Schutz und Wärme im Totenbett, das durch ein überdimensioniert langes weißes  Laken  „Luthers Tod“ in eine  Allegorie seines reinen Geistes verwandelt. Mit Williams Carlos  Williams „The Widow´s Lament in Springtime“ bekommt Luthers Witwe (Stimme Fiona Show)  das letzte Wort aus dem Off. Wenn sie das Papier  mit schweren Eisen bügelt, mit Luthers Bibel als Besen den Boden kehrt, das Kind die Mutter tötet,  und immer noch unverständlich und unverstanden schreit,  weitet Robert Wilson „Luther dancing with the gods“ ganz bewusst zum existentiell ironischen Rätsel, das der menschliche Geist nicht wirklich lösen kann. Dieser distanziert ironische  Blick auf Religion ist beeindruckend.

Michaela Schabel