Arno Lücker „250 Komponistinnen – Frauen schreiben Musikgeschichte“ – nicht nur spannende Lektüre, sondern grandioses Hörerlebnis

Buchkritik von Arno Lücker "250 Komponistinnen" präsentiert von www.schabel-kultur-blog.de

©Droemer-Knaur Verlag, 2023

1,6 Kilo wiegt Arno Lückers Anthologie über „250 Komponistinnen“. Seit vielen Jahren beschäftigt er sich mit den Lebensläufen und der Musik von komponierenden Frauen. Mit 250 Porträts von Komponistinnen aus aller Welt schreibt er eine neue Musikgeschichte, nicht nur als Lektüre, sondern mit 250 Hörbeispielen…

In der ernsten Musik blieben viele Kompositionen, insbesondere von Frauen ungehört. Sie wurden ignoriert, beschimpft und verhindert. Es ist dem Faible Arno Lückers zu danken, neue unbekannte Musik zu hören, für ihn „die schönste Herausforderung“. Aus diesem Grund schrieb er von 2019 bis 2023 die Serie „250 Komponistinnen“ für das VAN Magazin, die jetzt gebunden als Buch mit Illustrationen von Grafikerin Chiara Jacobs vorliegt. 

Es ist eine Auswahl vorwiegend von Komponistinnen der klassischen Musik ohne Anspruch auf Vollständigkeit, darunter einige Künstlerinnen aus Jazz, Folk, Aktionskunst und Filmmusik. 

In einem kurzen Vorwort stellt Lückers seine Forschungsergebnisse dar. Die Komponistinnen waren größtenteils privilegierte Frauen des Abendlandes, denen man das Komponieren erlaubte oder die unter männlichen Psyeudonym agierten. Bis zu Beginn des 18. Jahrhundert waren es vor allem Nonnen wie Kassia, Hildegard von Bingen oder Claudia Sessa, deren transzendierende Werke in ihrer Zeit oft eine überdurchschnittliche Qualität zeigen. Anfang des 18. Jahrhunderts kamen Pianistinnen und Sängerinnen mit adligem Hintergrund hinzu, die aufgrund ihres Bekanntheitsgrades gelegentlich eigene Kompositionen zu Gehör bringen durften. Erst im Zuge der Frauenbewegung im 20. Jahrhundert wurden immer mehr Komponistinnen sichtbar. Dieser Trend verstärkte sich im 21. Jahrhundert, wobei Arno Lücker beim Hören „ganz andere Mutigkeiten, Radikalitäten, Überraschungswagnisse“ spürt als bei Komponisten. 

Lücker beschränkt sich bei den 250 Portraits auf die Fakten, die für die Musik bedeutsam sind. Er skizziert kurz das Elternhaus, die Ausbildung, Lehrer und Vorbilder und konzentriert sich jeweils auf ein Werk der Komponistin. Detailliert, überaus kompetent und fühlbar begeistert beschreibt und erklärt er die musikalischen Einflüsse und Neuerungen, warum es sich wie im Falle von Jeanne Beijerman-Walraven (1878-1969) trotz hörbarer Analogien zu Wagner oder Bruckner eben um keine Epigonalmusik handelt, sondern sie einen eigenen Musikstil für ihre „Götterdämmerungsverzweiflungsmusik“ entwickelt. 

Die Porträts sind nicht chronologisch geordnet. Markante Überschriften lenken die Auswahl. Doch mit Hildegard von Bingens (1098-1179) „Kraft der Weisheit“ als letzter Beitrag kehrt Lücker zum Anfang der komponierenden Nonnen zurück und erweist Hildegard von Bingen, die nach ihrem Tod schnell in Vergessenheit geriet, seine Reverenz. Sie war „die Größte des Mittelalters. Mindestens.“

Damit die LeserInnen auch in den Genuss des Hörens kommen, führt ein QR-Code direkt zur Webseite von van-magazin.de, wo jeweils das im Buch besprochene Werk der 250 Komponistinnen zu hören ist. Über neun Monate hinweg kann man eine neue Musik erleben. Neue Horizonte eröffnen sich für Musikinteressierte.

Arno Lücker (*1979 Braunschweig) studierte Musikwissenschaft und Philosophie. Er arbeitet als Musikwissenschaftler, Musikkritiker, Pianist und Komponist.

Arno Lücker „250 Komponistinnen – Frauen schreiben Musikgeschichte“, Die Andere Bibliothek, Aufbau Verlage, Berlin 2023, 629 S.