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Über zwei Jahre beobachtete Wim Wenders Anselm Kiefer bei der Arbeit in seinen Ateliers fern pulsierender Urbanität auf dem Land. Überlagert von Kindheitserinnerungen, collagierten Fernsehdokumentationen und atmosphärischen Kunstenvironments, unterlegt mit Klangspielen, Geflüster und Geräuschen, Gedichten von Ingeborg Bachmann und Paul Celan gelingt ihm ein vielschichtiges Porträt, aus dem sich Anselm Kiefers Schaffen erschließt. Er fühlte sich nie als „junger Wilder“, wie er auf einer Biennale bezeichnet wurde, sondern als wertbewusster Reaktionär, immer noch auf dem Weg, auf der Suche nach dem Existenziellen „Man kann Landschaft doch nicht einfach so malen, wenn Panzer durchgefahren sind.“ Anselm Kiefer flüchtete nicht in den Mythos, vielmehr zeigen seine mythischen Environments eine Möglichkeit das Leben zwischen poetischen Sehnsüchten und gewalttätigen Realitäten zu begreifen.
In den USA begeistert rezipiert, erntete Anselm Kiefer in Deutschland oft nur harsche Kritik. Als er Ende der 1960er Jahre mit dem Hitlergruß provozierte, warf man ihm vor ein Nazi zu sein, später wegen der immer größeren Bildformate und hallenfüllenden Installationen mit Fliegern aus Beton und Stein zu viel Pathos. Anselm Kiefer arbeitet unbeirrt und unermüdlich weiter. Energetisch knallt er eine Farbschicht auf die andere, zerstört sie brachial mit den Feuerwerfer, löscht sie mit dem Wasserschlauch, gießt Blei darauf, um das Ganze in Variationen zu wiederholen. Bis zu 20 cm dicke Farbschichten werden zum Symbol der Zeit im Wechselspiel von Werden und Vergehen. Er ist eigentlich schon ein Besessener“, so Wim Wenders Resümee.
Der kleine Nachkriegsjunge, der die Schutthaufen zerbombter Häuser entlanggeht, wird zum Leitmotiv des Films. Aus diesen Erinnerungen an die Kindheit scheint Anselm Kiefer seine existentielle Schaffenskraft zu schöpfen, mit der er einen neuen Malprozess entwickelte, um Zeit darzustellen.
Immer größere Räumlichkeiten kaufte Anselm Kiefer für sein Kunstschaffen. Eine alte Fabrik wird sein Domizil, so groß, dass er von einer Halle zur anderen radelt, mitunter so düster gefilmt, als wären es Katakomben. Von Mitarbeitern lässt er die gigantischen Bilder hin und her rangieren. Sein harter Tritt über scheppernden Eisentreppen, quietschende Metallrollen, kreisende Hubschrauber lassen Assoziationen zu Konzentrationslagern wach werden. „Heidegger, der große Philosoph schwieg. Die ganze Gesellschaft schwieg.“ Anselm Kiefer will die Erinnerung wach halten.
Worüber Anselm als Junge in kurzen Hosen staunte, den darin innewohnenden Mythos intuitiv spürte, das verwandelt er als Erwachsener in monumentale Kunst immer haarscharf entlang des Abgrunds. Wim Wenders findet dazu einen wunderbar poetischen und symbolischen Drahtseilakt, wenn Anselm Kiefer mit einer riesengroßen Sonnenblume aus Metall dem Himmel entgegen balanciert. Der Film endet, wo er beginnt, im Wald zwischen den körperlosen Bräuten mit Anselm Kiefer den kleinen Sohn auf den Schultern. Man bekommt Lust den Film gleich noch einmal anzuschauen. Ein außergewöhnlicher Film!
Künstlerische Leitung: Wim Wenders (Drehbuch, Regie), Franz Lustig (Kamera), Maxine Goedike (Schnitt), Leonard Küßner (Musik)
Mit Anselm Kiefer, seinem Sohn Daniel Kiefer (als junger Anselm) und Wim Wenders Großneffe Anton Wenders (Anselm als Kind)
Wim Wenders „Anselm – Das Rauschen der Zeit“ kommt am 12. Oktober in die deutschen Kinos.