"Kultur macht glücklich"


Pedro Almodóvars „The Room Next Door“ – ein Plädoyer für die Sterbehilfe

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Pedro Almodóvars „The Room Next Door“ – ein Plädoyer für die Sterbehilfe

©Warner Bros. GmbH

Um sich das Buch signieren zu lassen, stehen die Menschen den Gehweg entlang Schlange. Ingrid, Bestsellerautorin, schreibt autofiktional. In ihrem neuen Buch verarbeitet sie ihre eigene Angst vor dem Tod und trifft genau den Nerv der Zeit. Auch Stella, eine ehemalige Freundin will eine Widmung. Von ihr erfährt Ingrid, dass…

Martha mit der Diagnose Gebärmutterhalskrebs im Endstadium in der Klinik ist und sich über Ingrids Besuch freuen würde. Von da ab kreist Almodóvars Film „The Room Next Door“, eine Adaption von Sigrid Nunez Roman „What Are You Going Through“, um die letzte Hürde des Lebens, den Tod und welche Rolle Freundschaft dabei spielt. „Es geht um die persönliche Freiheit des Menschen, sein Recht, nicht die Krankheit entscheiden zu lassen, wann das Ende naht, sondern selbst die Zügel in der Hand zu behalten“, so Almodóvar. Sein Film, der gerade durch die Ästhetisierung dem Tod den Schrecken nimmt, wirkt wie eine Gebrauchsanweisung für einen gelungenen Freitod.

Martha (Tilda Swinton) und Ingrid (Julianne Moore) kennen sich seit ihrer Jugend, als sie beide bei derselben Zeitschrift arbeiteten. In Erinnerung an flotte Zeiten finden beide trotz der traurigen Umstände immer wieder Lebensfreude. Es tauchen aber auch die Schattenseiten von Marthas Leben auf. Der unehelichen Tochter war sie nie die Mutter, die diese sich wünschte, womit Marthas Krankheit zum Symbol verdrängter Lebensgeschwüre wird.

Als sich Marthas Gesundheitszustand verschlechtert, die neue Medikamentation nicht hält, was sie verspricht, beschließt sie mit Ingrid die letzten Wochen im designten Ferienhaus einer Freundin zu verbringen, mitten im Wald ein Ort mit bunten Farbtupfen inklusive der beiden Frauen. Martha als Kriegsjournalistin immer süchtig nach Abenteuer hat oft dem Tod ins Auge geschaut, aber das ist jetzt ein anderer Kampf. Zuerst will sie noch leben, dann nur noch sterben, aber gut und nicht alleine den richtigen Augenblick für den Freitod finden. Ingrid ist dabei nicht Pflegerin, sondern Gast.

Großartig spielt Tilda Swinton die Achterbahn zwischen Hoffnung und Ernüchterung, Selbstentschlossenheit und verzweifelter Wut, sanft vom Soundtrack im langsamen Walzenrhythmen untermalt. Wunderbar schafft es Julianne Moore trotz ihrer eigenen Todesängste ihrer Freundin beizustehen und durch Außenkontakte selbst intakt zu bleiben. Gleichzeitig wird die Bedeutung des Todes durch die Einbeziehung des Klimawandels relativiert und die Kriminalisierung des Freitodes in den USA an den Pranger gestellt. Dass Almodóvar für diesen, dramaturgisch an sich schlichten Film im Herbst mit dem Goldenen Löwen der Filmfestival in Venedig ausgezeichnet wurde, beweist einmal mehr, wie dieses Thema die Menschen bewegt.

Künstlerisches Team: Pedro Almodóvar (Drehbuchautor, Regie). Eduard Grau (Chef-Kameramann), Bina Daigeler (Chef-Kostümbildnerin), Alberto Iglesias (Soundtrack), Teresa Font (Chef-Cutterin)

In den Hauptrollen Tilda Swinton, Julianne Moore, John Turturro, Pedro Almodóvar