Film – „Und morgen die ganze Welt“ – ein Film über das Recht auf Widerstand von Julia von Heinz 

Filmkritik "Und morgen ist alles anders" präsentiert von www.schabel-kultur-blog.de

©Oliver Wolff

Es könnte das Thema sein. Der Film  kreist um die wichtige Frage des Widerstandsrechts des einzelnen, in Zeiten politischer Rechtsradikalisierung und der Pandemie ein grundlegendes Thema. Luisa (Mala Emde), eine junge Studentin, erlebt wie ein Kommilitone das Widerstandsrecht auf Migranten anwendet. Noch ist es einer. Aber als sie über ihre Freundin in die Antifa-Szene eintaucht, sieht sie sich plötzlich der „Liste 14“, einer gut organisierten rechtsradikalen Gruppierung gegenüber. Unter dem Einfluss des Hitzkopfes Alfa (Noah Saavedra) und des stillen Organisators Leon (Tonio Schneider) radikalisiert sie sich. Auch sie will die Nazis am Boden sehen. Im Straßenkampf wird sie verletzt. Ein Alt-Linker hilft. Einst wollte auch er durch Sprengstoffanschläge die Welt verändern. Fünf Jahre wurde er inhaftiert, weil er die anderen nicht verpfiff. Die sind inzwischen etablierte Akademiker. Er selbst konnte sein Medizinstudium nicht mehr aufnehmen, ist nun Krankenpfleger und lebt einsam im kleinen Haus seines verstorbenen Vaters.

Sein Resümee, es könnte seelische Wunden heilen helfen, Kampf und Revolte als Schaubühne des eigenen Ego, kommt bei Luisa und Alfa, nicht an. Sie wollen weiterkämpfen und bringen den friedlichen Kern der Linken in Misskredit. Polizeirazzien, Festnahmen, zerbrochene Freundschaften folgen.

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©Oliver Wolff

Ambivalent und pathetisch endet der Film. Im Antifa-Zentrum wird gefeiert, fast parallel dazu fliegt das geheime Hauptquartier der „Liste 14“ zu Verdis Opernmusik „La forza del destino“ in die Luft. 

Mit wackelnder Kameraführung und teilweise nicht ganz stringentem Drehbuch unterstreicht Julia von Heinz den dokumentarischen Charakter des Films. Nicht alle Bausteine der Geschichte erschließen sich logisch, vielmehr ergeben sich in besonderen Augenblicken schicksalshafte Wendungen. 

Julia von Heinz filmt oft aus der Vogelperspektive, um einen Überblick über das Geschehen zu geben,  zoomt die Gesichter ganz nahe heran, um die Augen sprechen zu lassen. Sie wertet nicht, malt weder schwarz-weiß noch dogmatisch, sie zeigt vielmehr die Linken und Rechten in ihrer Ähnlichkeit zwischen den Eckpolen von Gewalt und Feiermentalität. Alfa kokst, die Rechten saufen Bier. Die Fäuste sitzen auf beiden Seiten locker. Und die radikalen Linken schrecken vor dem Einsatz hochexplosiven Materials  ebensowenig zurück wie die Rechten. Die nachhaltigsten Szenen sind ohnehin nicht die politischen. Wenn Luisa am Steuer der väterlichen Limousine sitzt und sie mit ihren Kumpeln in den für Migranten gespendeten Edelklamotten die Polizeikontrolle als fingierte Hochzeitsgäste austrickst, leuchtet klischeehaft Komödie auf, wenn Luisa nach der Jagd ihrer Eltern die Hasen tranchiert, ihr traumatisches Desaster.

Insgesamt betrachtet erzählt „Und morgen die ganze Welt“ nichts, was man nicht schon wüsste, bietet weder filmtechnisch noch schauspielerisch Überraschungen. Umso mehr verwundert die Auswahl für den Oskar.